Mittwoch, 31. Dezember 2014

Japanischer Marsch (Teil 2)

Am nächsten Morgen machte ich mich zeitig auf den Weg. Nach Norden, wo immer ich durch das Gewirr an Straßen durch kam immer nach Norden. Das war zwar nicht die effizienteste Route, aber damals hatten Mobiltelephone noch kein GPS. Und da ich hatte keine Lust immer wieder meine große Karte auszupacken. Also wählte ich einen 2-Stufen-plan für die nächste Etappe:
(a) wenn man immer weiter nach Norden geht, kommt man irgendwann an den Fluss Yodogawa.
(b) wenn man immer weiter dem Yodogawa stromaufwärts folgt, kommt man irgendwann nach Kyoto.
Nachdem ich also einige Stunden durch die Stadt marschiert war erscheint vor mir die grüne Wand: der Deich die tief liegende Innenstadt vor Überschwemmungen schützt. Von oben sehe ich die weitläufige Flusslandschaft. im Grünstreifen zwischen Deich und Fluss reihen sich Baseball-Felder, an Picknick-Plätze, Toilettenhäusel and Bolzplätze. Oben auf dem Deich läuft ein asphaltierter Radweg, an dessen Rand immer wieder Steinplatten mit Kilometer-Zahlen eingelassen sind. Das gefällt mir: da weiß ich recht genau wie schnell ich voran komme.


Also marschiere ich los. Links spielen sie Baseball, rechts hupen die Autos. Links tollen Kinder über den Rasen, rechts übt eine Gruppe Bogenschützen auf einem Hausdach. Ich zähle die Brücken die ich unterquere, genieße die Sonne und den Wind, lerne nebenher ein paar Japanische Wörter ("verlaufen" kann noch sehr hilfreich sein). So vergeht Stunde um Stunde der Tag.


Als es Abend wird ist mir nach einer Pause und einem Bad. Kein Problem, denn ich habe ja das Wort für "Öffentliche Badeanstalt" gelernt. Tatsächlich gibt es in Japan noch reichlich Badehäuser, obwohl mittlerweile die meisten Häuser eigene Bäder haben. Ich lasse mir also von einem Einheimischen den Weg zeigen und gehe erstmal Baden. Das heiße Wasser ist genau das richtige für meine schmerzenden Knie und verspannten Schultern.

Bleibt nur noch ein Problem: wo schlafen? Hotels gibt es hier nicht und selbst wenn: in der Golden Week wären die schon seit Monaten ausgebucht.
Aber ich habe einen Plan: Love-Hotels, eigentlich gedacht für die traute Zweisamkeit von Pärchen, gibt es fast überall und reservieren kann man sie auch nicht.
Ich habe mir vorausschauend extra mehrere Karten ausgedruckt, die ich von Google Maps, Stichwort "LoveHotel", zusammengestellt habe.
Also marschiere ich abseits vom Fluss etwas die Landstraße herunter und finde schließlich das erste Hotel.
Ich betrete den Vorraum und sehe eine Wand mit Abbildungen von Hotel-Zimmern. Eine kleine Dame kommt auf mich zu. Als sie mich sieht, alleine und mit großem Rucksack, bekommt ihr Lächeln sofort einen Hauch unangenehmer Peinlichkeit.

Ich versuche ihr zu erklären, dass ich gerne übernachten würde. (Mein Japanisch zu dieser Zeit war noch reichlich unausreichend).
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.
Ich versuche ihr zu erklären, dass das schon klar gehe. Ich zahle gerne für ein Doppelzimmer.
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.
Ich versuche ihr zu erklären, dass ich nicht gerne auf der Straße schlafen möchte.
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.

So komme ich nicht voran. Also Plan B:
Ich versuche zu erklären, dass meine Freundin später kommt.
Das glaubt sie mir jetzt auch nicht mehr, oder vielleicht versteht sie mich auch nicht.
Ich gebe auf und gehe wieder.
Sie entschuldigt sich nochmals.


Also zum nächsten Hotel. Dieses ist ziemlich ausgefallen, mit ummauerten Hof und Palmen und einem kleinen Wasserfall in der Lobby.  Gehobene Klasse.
Die Rezeption ist auf Kopfhöhe mit Stofftüchern verhängt, so dass man nur über die Theke sehen kann. Direkter Blickkontakt zwischen Personal und Gast ist nicht möglich. Trotzdem kann ich die Tatsache, dass ich allein bin nicht verbergen.
Ich erkundige mich nach den Preisen. Die werden mir erläutert, nebst der Anmerkung dass das alles "2-Personen" Räume seien. Ja, ja, passt schon. Ich probiere die Taktik von vorhin wieder, und täusche sogar ein Handy-Gespräch vor um etwas mehr Glaubwürdigkeit zu erzielen.
Das hätte ich vorher üben sollen. Es ist überraschend schwer so ein Gespräch vorzutäuschen. Ich komme mir so bescheuert vor, dass ich einfach wieder gehe ohne es nochmal zu probieren.



Langsam gehen mir die Optionen aus. Ein Hotel habe ich noch auf der Liste.
Hier gibt es überhaupt keine Rezeption, nur eine Wand mit Bildern der Räume und darunter Knöpfe.
Ich drücke auf einen Kopf, und Leuchtpfeile an der Wand weisen mir den Weg.
Der Raum hat einen kleinen "Windfang", wo man die Schuhe gegen Slipper tauschen kann. Hier gibt es auch eine kleine Durchreiche in der Wand. Wohin die führt sieht man nicht, weil sie zu ist.


Ich nehme sicherheitshalber beide Paare Slipper mit ins Zimmer, und lasse auch keine Schuhe außen stehen. Kaum habe ich meinen Rucksack abgesetzt, klingelt das Telephon. Ein Schwall Japanisch, von dem ich fast kein Wort verstehe lässt die Hoffnung auf eine geruhsame Nacht sinken. Schließlich kapiere ich, dass ich gefragt werde ob ich nur einige Stunden bleibe oder die ganze Nacht. Die ganze Nacht, sage ich. Das beendet das Gespräch. Sollte es doch noch klappen mit dem Bett?
Es klopft an der Tür. Verdammt! Das war's wohl!
Ich trete in den Vorraum.
Die Durchreiche ist jetzt offen, aber sie ist zu klein um mehr zu sehen als ein paar Damenhände.
Mir wird ein Betrag genannt.
Ich zahle.
Die Klappe schließt sich.
Ich gehe zurück ins Zimmer.

...
Dann gehe ich mir den Angstschweiß abduschen und lege mich ins Bett...

Das Fenster rechts erlaubt einen Blick in die Dusche.

Sonntag, 30. November 2014

Japanischer Marsch (Teil 1)

Die Geschichte ist eigentlich schon mehr als 3 Jahre alt.
Warum erzähle ich sie jetzt erst?
Zuerst fühlte ich mich damals nicht besonders wohl damit. Ehrlich gesagt war es mir lange unangenehm darüber zu reden. Irgendwann bekam ich dann etwas mehr Abstand dazu und konnte darüber lachen. Doch dann war's auch schon nicht mehr aktuell...
Aber irgendwann muss ich's dann doch erzählen. Und weil gerade sonst nichts passiert...

1.: Hintergrund
Ich war gerade erst ein, zwei Monate zum ersten mal in Japan. Dementsprechend lausig war meine Kenntnis von allem. Dementsprechend groß war meine Faszination über selbst die kleinsten Alltäglichkeiten. Alles was man am Straßenrand sehen konnte war interessant: diese kleinen Mini-Autos, die öffentlichen Parks, die in Kanäle gezähmten Flüsse...
Ich verbrachte meine Freizeit vor allem mit "Erkunden". Das heißt: ich ging einfach los und sah dann weiter wo ich wieder heraus kommen würde. Diese Touren wurden logischerweise immer länger und verrückter.

Dann stand plötzlich die "Golden Week" vor mir: ein 5-Tage-Wochenende. Was tut man mit so viel Freizeit?

Wenn man sich die Landkarte von Japan anschaut, fällt einem auf, dass das Land eher lang als breit ist. An manchen Stellen sogar ziemlich schmal. Und hier ist die vielleicht schmalste Stelle: von Osaka bis zur Küste an der anderen Seite sind es nur grob 100km.
Kurz Nachgerechnet... ja, kann ich in den 5 Tagen locker schaffen...

2.: Abmarsch
Ich beende die Arbeit im Labor etwas früher, gehe Heim und packe meinen großen Rucksack. Klamotten für 5 Tage, Handtücher, Regenschutz, Karte, Campinggeschirr, Kompass, Skizzenbuch, Kamera, ...
Irgendetwas bringt mich dazu sogar dazu meine Lederhose einzupacken. Heute weiß ich nicht mehr genau warum, nur dass das Ding reichlich schwer war.
Ich gehe zur Bus-Station und fahre nach Osaka, zum Hafen.


Es ist gar nicht zu einfach ans Meer zu kommen. Erstens weil durch die vielen Kanäle und vorgelagerten künstlichen Inseln die grenze zwischen Land und Meer verschwimmt, und zweitens weil jeder Meter der Küstenlinie von einem Schifffahrt-Konzern belegt ist. Die Mauern sind wohl zum Teil gegen Sturmfluten ausgelegt und mehrere Meter hoch. Die schweren Stahltoren die darin hängen ebenfalls. Doch dann finde ich ein Tor das offen steht, und beschließe einfach "dummer Tourist" zu spielen. Niemand da. Ich hoffe inständig, dass das Tor noch offen ist wenn ich zurück komme...
Ich klettere am Pier auf eine schwimmende Plattform an der ein kleines Boot angelegt hat, kraxle bis zum Wasser herab und schöpfe mir etwas mit meiner Kaffee-Tasse. Die brühe wird zur "Taufe" ins Gesicht gespritzt und ein Photo gemacht. Damit hat das Abenteuer begonnen!

Gott sei dank ist das Tor noch offen als ich zurück komme. So entkomme ich unbemerkt und marschiere in die Nacht.



3.: Die erste Nacht
Osaka ist schon eher eine große Stadt. Man kann das nicht so richtig wertschätzen wenn man mit dem Zug durch rast. Doch wenn man mal versucht von einem Stadtteil in den nächsten zu laufen (was auf der Karte nach einem kurzen Abendspaziergang aussieht) wird einem klar: "von Schwabing bis Sendling" ist ein Witz dagegen. Oder vielleicht bin ich auch nur müde...

Ich marschiere durch Häuserschluchten und wundere mich über eine seltsam verbogene Halle die ich passiere. Jahre später sollte ich wieder hierher kommen und feststellen, dass es der berühmte Kyocera-Dome ist, das Nummer-1 Baseball-Stadion in Osaka. Doch in dieser Nacht sehe ich nur grauen Asphalt-Dschungel, menschenleere Beton-Klötze und Industrieanlagen.


Irgendwann wird es dann heller als ich das Neon-Erleuchtete Stadt-Zentrum erreiche. America-Mura, mit seiner hippen, alternativen Party-Szene ist mein erstes Etappenziel. Nach etwas suchen und fragen finde ich was ich suche: ein Capsule Hotel. Ich habe sogar reserviert, obwohl das normalerweise unnötig ist weil sich Capsule-Hotels an Angestellte richten die spontan oder fahrlässig den letzten Zug verpassen. Ich checke ein, nehme ein Bad, mache noch ein paar Photos und lege mich dann Schlafen.
Das erste kleine Stück von etwa 6km ist schonmal geschafft...

Freitag, 14. November 2014

Ver-kleidet

Und weils grad vorletzte Woche war: was war denn mit Halloween?
Ja, kann ich euch schon sagen was war.
Waren nämlich alle da!
Denn, wer hat's nicht gewusst: in Japan ist die Kunst des Verkleidens ganz ganz groß.
Da kann man sich die keine Ausrede Chance entgehen lassen!

Interessanterweise wird Halloween hier erst seit ein paar Jahren überhaupt wahrgenommen.
Scheinbar hatte da keiner den Japanern gesagt, dass sie sich verkleiden dürfen. Oder alle waren so angepasst, dass keiner mitmachen wollte, bevor nicht alle anderen mitmachen.
Jetzt wird es jedenfalls immer beliebter, und hat Deutschland schon lange hinter sich gelassen.


Der ganze Spaß geht schon ein 1-2 Wochen vor Halloween los. Sobald die Geschäfte die Deko raus hängen (was natürlich immer reichlich früh passiert), kann man in der Fußgängerzone der Innenstadt vereinzelt Zombies und Hexen sehen. Vor allem Mädchen lassen sich die Chance nicht entgehen etwas mehr Haut zu zeigen Haut auf etwas andere Weise zu zeigen.
Auch immer mehr Bars und Clubs beginnen mit Halloween-Parties und "Verkleidet-kommt-man-kostenlos-rein" Events. Wieder sind Erfahrungsgemäß die Mädels mehr bei der Sache, obwohl sie sowieso kostenlos rein kommen würden.
Das hat auch einen anderen Grund: gut aussehende Kostüme für Männer sind eher Mangelware. Wenn man durch die Geschäfte schlendert, scheint es als gäbe es Richtlinien für alle Verkäufer:
(1) 90% der Kostüme müssen für Frauen sein, und möglichst sexy
(2) die wenigen Männer-Kostüme müssen möglichst dümmlich aussehen.
Man hat also die Wahl zwischen Peter Pan, einem Piraten und dem Zombie.
Oder muss sich so richtig ins Zeug legen und sein eigenes Ding machen.
Und das machen die meisten auch!
Vor allem am Samstag vor Halloween und Halloween selbst (die beiden Haupt-Nächte) kommt man kaum durch die Straßen:
(a) es ist einfach dicht gepackt mit verkleideten Leuten
(b) Sie werden alle 3 Meter stehenbleiben müssen um zu staunen und ein paar Photos zu machen

Dabei muss es nicht immer gruselig zugehen. Eigentlich ist alles erlaubt was die Leute wiedererkennen.


Manchmal ist es dabei aber doch unfreiwillig gruselig. Einfach weil manche Figuren der Japanischen Pop-Kultur niemals in real umgesetzt gehören.
Als ich ihn das erste mal sehe denke ich auch, das er einfach ein perverser Spinner ist, der Glück hat, dass heute zufälligerweise Halloween ist - so wird er nicht verhaftet. Aber als dann immer mehr Leute ein Photo mit ihm machen wollen, muss ich doch nachfragen.
Ja: solche Comic-Helden gibt es in Japan: Hentai Kamen:



Besonders beliebt sind Militär-Uniformen aus aller Herren Länder, aber vor allem auch aus Deutschland....
Ja, sie denken richtig: genau so oft wie die Bundeswehr-Variante ist die Wehrmachts- oder SS-Variante dabei. Das ist kein politischer Idealismus: die Japaner haben da einfach keinen historischen Bezug zu und finden die Uniformen einfach cool. Ich wünschte sie hätten ein bisschen mehr Bezug.
Meine Freundin (der ich zur Vervollständigung ihres Armee-Kostüms meine alte Feldmütze geliehen habe) will natürlich ein Photo mit dem feschen Panzer-Kommandanten haben.
Der streckt unvermeidlich seine rechte Hand in die Luft. Noch bevor meine Kamera ausgelöst hat, muss das Mädel es ihm natürlich gleich tun.
Ich schlucke meine Belehrung herunter und suche mir wieder ein paar politisch neutrale Zombies.


Ich selbst habe meine Lektion von letztem Jahr gelernt.
Da hielt ich mich für sehr clever: auf der Höhe der Finanzkrise klebte ich mir Hörner an die Schläfen, packte meinen schwarzen Anzug aus, füllte einen Koffer mit (falschem) Geld krönte das ganze noch mit stechend blauen Kontaktlinsen und machte mich auf ein paar Seelen zu kaufen.
Ergebnis: keiner hat kapiert was ich darstellen soll, und alle glauben meine natürliche Augenfarbe sei Ultramarin.
Diesmal nehme ich also den Japanischen Weg, lasse mich von einer Künstlerin mit falschen Tatoos bemalen und gehe als Yakuza. Das verstehen die Leute und ich werde weder verhaftet noch von echten Yakuza verprügelt. Also eine ziemlich erfolgreiche Nacht.


Und wenn Halloween dann vorbei ist?
Nun, wer verkatert am Morgen durch die verwaisten Einkaufspassagen schlendert wird sein weißes Wunder erleben: es Weihnachtet sehr!
Da müssen die ganzen armen Angestellten Nachtschicht gehabt haben um bis zum Morgengrauen die ganzen Horror-Kostüme auszutauschen, gegen: ja, gegen Weihnachtsmann-Kostüme und Rentier Masken. Sie können sich schon denken, an welches Geschlecht diese Kostüme vor allem gerichtet sind, welche richtig sexy sind und welche einfach nur dümmlich aussehen.

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Ehrlich jetzt!

Okay, nachdem der letzte Eintrag ein bisschen düster ausgefallen ist, versuche ich das mal mit ein paar positiven Geschichten auszugleichen!


Das Diebstahl und anderes kleinkriminelles Getue sehr selten sind, habe ich ja hier schonmal erzählt.
Aber Es gibt ja Grenzen, oder. Irgendwann ist es ja kein Diebstahl mehr, wenn man keinen Schaden anrichtet und überhaupt gar nicht zahlen könnte selbst wenn man denn wollte.
Doch!
Oder zumindest hält es die Leute nicht vom Ehrlichsein ab.
Ich komme nachts mit dem letzten Zug von Osaka zurück und gehe mein Fahrrad holen. Das habe ich in so einen Fahrrad-Parkplatz gestellt, also einen umzäunten Bereich mit Tor, wo man beim Verlassen am Automaten Entgelt entrichten muss damit sich das Tor öffnet. (Zu Fuß kommt man durch den Seiteneingang rein und raus).
Ich will also (gezwungenermaßen) zahlen, kann aber nicht. Der Automat ist kaputt. Das Tor steht weit offen, man kann also einfach gehen.
Auf dem Automaten liegen, ordentlich in Reih und Glied, kleine Münz-Stapelchen. Und zwar nicht zu knapp!
Die Leute haben also, wenn sie schon den Automaten nicht füttern konnten, einfach das Entgelt dagelassen. Auf die Idee, das ganze Angesammelte Geld mitzunehmen ist auch keiner gekommen, und das obwohl es Mitten in der Nacht und menschenleer ist.
Ich Stapel also meine Münzen daneben und schwinge mich aufs Rad...




Aus Gründen die ich anderswo mal erkärt habe (aber gerade nicht finden kann) muss ich für einen Monat meine eigene Wohnung mieten. Dabei ist mir nicht ganz wohl. Ich habe da Geschichten gehört, dass so manche Vermieter im Nachhinein plötzlich "Schäden" feststellen um den Mieter gehörig über den Tisch zu ziehen. Und so ganz koscher erscheint mir die Firma bei der ich da miete nicht. Ich wappne mich also mit einem Satz "Vorher-Nachher"-Photos und warte ab.
Zwei Wochen nach dem Auszug, nichts.
Doch dann: ein Anruf!
Es ist die Vermieter-Firma!
Natürlich verstehe ich erstmal kein Wort...
Doch dann! Dann kapiere ich: es geht um die Kaution!
Die habe ich vergessen abzuholen, schon über die Deadline hinaus.
Verdammt! Richtig, war doch was!
Und jetzt?
Nah, ich soll kommen und das Geld endlich Abholen!
Es dauert noch eine weitere Woche bevor ich die Chance habe wieder bei der Firma vorbei zu kommen. Sie geben mir ohne ein böses Wort mein Geld und bedanken sich nochmal, dass ich bei ihnen gemietet habe.
Ich bedanke mich für den Anruf, ohne den ich das Geld sicher vergessen hätte.



Natürlich gibt es auch Diebe und Halunken hier. Aber selbst die verhalten sich noch auffällig Anständig. In dem (sehr lesenswerten, aber nicht ganz leicht verdaulichen) Buch "Tokyo Vice" weiß der Autor über so einen Kerl zu berichten. Der war professioneller Taschendieb. Besonders gerne beklaute er Anzugträger die Abends im Zug nach Hause eingenickt waren. Er besorge sich also unbemerkt die Brieftasche seines Opfers und nahm das Bargeld heraus. Dann nahm er das Risiko auf sich, die Brieftasche mit all den Ausweisen, Kreditkarten und was da sonst noch drin war an den Ort zurück zu schmuggeln, von dem er sie hatte.
Als sie ihn dann schließlich doch schnappten, gestand er sofort. Und nicht nur den einen Diebstahl bei dem sie ihn erwischt haben. Alle! Also auch die, die der Polizei gar nicht bekannt waren.

Tatsächlich ist die Selbstanzeige in Japan ein recht gängiges Phänomen.
Als wir an einer Polizei-Station vorbei komme, mach ich einen Spruch über die "Gesucht" Bilder, die dort hängen. Die sind schon dieselben seit ich denken kann. Man sollte meinen irgendwann finden sie die Typen oder die Polizei gibt die Fahndung auf. Doch eine Freundin belehrt mich, dass die Poster seit drei Jahren deutlich kleiner ausfallen. Als nämlich das große Erdbeben und Atomunglück Japan erschütterten, haben sich zahlreiche Kriminelle der Polizei gestellt. Das Leid der Leute hat sie ihr Leben überdenken lassen, sagten sie.
Bleibt zu erwähnen, dass es in Japan nach wie vor die Todesstrafe gibt, und Gefängnisse hier alles andere als komfortable sind. Also sicher keine leichte Entscheidung.

Ein Polizei-Kommando hat einen Yakuza-Mafioso gestellt (erkennbar an den Tattoos).
Okay, das Halloween, aber das Gebäude im Hintergrund ist tatsächlich eine Polizeistation.

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Finstere Nacht

Normalerweise schreibe ich hier zwei mal im Monat über die lustigen und interessanten Dinge in Japan. Ich nörgel über Problemchen, zelebriere kleine Erfolge, mache mich über allerhand Zeug lustig.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Es gibt auch Hässliches hier.
Das kann man verschweigen, aber damit fehlt dann auch auch ein wichtiger Teil.
Denn manche Sachen sind gerade in ihrer Hässlichkeit typisch für dieses Land.

Dieser Eintrag handelt von einem dieser Dinge.

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Dienstag Nacht in der Haupt-Amüsier-Meile von Osaka.
Warum bin ich Dienstag Nacht ausgegangen?
Ich habe einen Flieger am nächsten Morgen, soll zu einer Konferenz fliegen.
So früh Morgens von meinem Kaff zum Flughafen zu kommen ist Zeitlich fast nicht zu schaffen.
Also halte ich mich für clever und mache die halbe Strecke schon am Vorabend, packe mein Gepäck ins Schließfach und gehe feiern.


Irgendwann habe ich dann Hunger, und gehe zum nächstbesten Konbini.
Für einen Dienstag ist sogar recht viel los.
Nicht so dicht gedrängt wie es hier tagsüber zu geht, aber es sind reichlich Leute da.
Ich komme an der Haupt-Touristen-Brücke vorbei (wenn sie jemals ein Photo von Osaka gesehen haben, dann von dieser Brücke aus).

Da Prügeln sich zwei.
"Prügeln sich zwei", beschreibt die Szene nicht so ganz.
Also einer hat den Anderen am Schopf und haut ihm wiederholt auf die Fresse.
Oder die Nase. Jedenfalls ist sein Gesicht schon voller Blut.
Wehren tut er sich nicht. Er klammert sich nur an der Hand fest die seine Haare gepackt hat.
Keiner tut etwas.
Außer einem Mädel, die wohl die Freundin des Angreifers zu sein scheint, etwas kreischt und versucht ihn weg zu ziehen.

Für eine Sekunde fühle ich diesen Berühmten "Social Proof" Effekt, nachdem jeder auf jemand anderen wartet den ersten Schritt zu machen, und aus der Menge keiner den ersten Schritt machen kann.
Wenn keiner was tut wird das schon einen Grund haben...
Eine Sekunde.
Dann fällt mir auf wie bescheuert das ist.
Ich gehe dazwischen.

Kurze Unterbrechung für zwei Hintergrundinformationen:
(1) bei einer Schlägerrei gibt es keine klaren Fronten "gut" gegen "böse".
Es gibt nur ein Gerichtsverfahren, Monate später, bei dem Anwälte darüber streiten wer mehr Honorar einsackt.
Sie haben bestimmt auch schon Geschichten gehört, wie die Polizei erstmal das Opfer einsperrt,
weil nicht klar war wer jetzt der Agressor ist. Mein Beamten-Japanisch ist jetzt auch nicht toll. Und ich bin stark angetrunken.
(2) Lesen Sie nochmal die Einleitung. Ich muss in wenigen Stunden in ein Flugzeug steigen und das Land verlassen. Das haben Polizisten jetzt überhaupt nicht gern, wenn Verdächtige oder Zeugen versuchen sich ins Ausland abzusetzen.

Von allen Anwesenden kann also gerade ich es mir nicht leisten, von der Polizei eingetütet zu werden.






Ich wechsle also von Plan A (dem Typen das Gesicht an sein Opfer anzugleichen)
zu Plan B: im Weg stehen und dummes Zeug labern beruhigend auf den Aggressor einreden.
Der Beruhigt sich aber nicht, stößt wilde Flüche aus versucht an mir vorbei dem Anderen immer wieder eine zu verpassen.
Was ihm auch gelingt, weil er immer noch dessen Haare festhält.
Das möchte ich gerne ändern, und versuche seine Finger aus der Frisur zu pfriemeln. Aber das Opfer hält mittlerweile meine Hände fest.
Ob er nicht kapiert, dass das NICHT dieselben  Hände sind, die er in die Fresse kriegt?
"Entschuldigung! Entschuldigung!", sagt er nur immer wieder.
Er blutet mich voll.
Mich und den Angreifer, der mit seiner Schlag-Hand das Blut auch schön verteilt.
Das hilft insofern, weil Blut ein gutes Schmiermittel ist und ich so meine Hände frei kriege ohne jemandem weh tun zu müssen.
"Ganz ruhig, ganz ruhig", sage ich zum anderen, als ich seine Finger aus den Haaren pfriemel.
Endlich sind sie raus.

Der Andere lässt sich fallen. Das hätte er nicht machen sollen: jetzt ist sein Kopf auf Fußhöhe.
Noch bevor ich etwas machen kann, kriegt er einen Tritt gegen den Schädel.
So ordentlich, dass ich überrascht bin dass er nicht KO ist... oder tot.
Sofort stell ich mich in den Weg. Der andere hat kein Interesse sich mit mir anzulegen und versucht nur an mir vorbei zu kommen.
Endlich kommt auch mal eine vierte Person hinzu. Zu meiner Verwunderung versucht der aber nur mich wieder aus dem Weg zu schieben. So nach dem Motto: ich solle mich doch nicht einmischen.
Das gibt dem Aggressor wieder eine Chance für einen weiteren Tritt gegen den Kopf.
Ich hab langsam die schnauze voll.
Wer ist der dritte Typ jetzt plötzlich?
Warum hilft MIR keiner?
Wo bleibt die Polizei?
Warum rennt der Depp am Boden nicht endlich weg, wenn er noch nicht KO ist?
Ich schiebe jetzt also zwei Japaner herum, um möglichst viel Abstand zwischen Aggressor und Möchtegern-Boxsack zu bekommen.
Gott sei Dank beruhigt der sich endlich.


Er flucht noch ein bisschen, wendet sich dann dem Mädel zu.
Das Opfer steht auf und verbeugt sich erstmal tief.
Nicht zu mir, sondern zum Angreifer. "Entschuldigung!" sagt er nochmal.
"Verpiss' dich endlich!", denk ich mir.
Dann geht er zu seinem Freund und...
ja, einer der Gaffer scheint sein Freund zu sein.
Also nochmal: sein Freund stand die ganze Zeit daneben! Und hat nichts gemacht.
Dann trotten die zwei davon, ohne sich nochmal umzuschauen oder mich auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bleibe allein zurück. Allein mit ein paar Dutzend Gaffern.
Alle schauen mich an.
Mit so einem Blick der sagt: warum hast du dich eingemischt? Ging dich doch nichts an? Blöder Ausländer.
Ich verstehe das alles nicht!
Ich will das alles nicht verstehen!
Ich drehe mich um und gehe weg.
In die falsche Richtung, also gehe ich wieder zurück.
Ich war keine ganze Minute lang weg, aber alle verhalten sich ganz nochmal als ob nichts gewesen wäre.
Das hat den komischen Effekt auf mich, dass ich auch so tue als wäre nichts gewesen und in den Club zurück gehe.
Erst am Flughafen merke ich, dass ich immer noch das Blut von dem Typen auf dem dunklen Hemd habe.

Naja, ich habe ja reichlich Wäsche zum wechseln im Gepäck...


Freitag, 26. September 2014

Verkehr

Ich bin, was viele nicht wissen, im Besitz einer gewissen Gerätschaft, die mir die Teilnahme am Verkehr ermöglicht.
Ich sage dass, weil ich es nicht Auto nennen mag.
Ich könnte es schon Auto nennen, aber dann würden Sie, wenn sie es sehen, lachen und sagen: "Das ist doch kein Auto! Da hat jemand sein Playmobil liegen lassen."
Man nennt es hier:Keijidōsha, also "Leicht-Automobil". Also: Blech mit Motor drin, vier Sitze.
Das hat den Vorteil, dass Steuern und Versicherung sehr viel billiger sind.

Ich würde gerne schreiben wie schnell das Ding so geht, kann ich aber nicht. Die Geschwindigkeitsbegrenzung hält mich vom Testen ab.
"Geschwindigkeitsbegrenzung, damit ist doch die untere Grenze gemeint!", sagen Sie jetzt. Aber Japan versteht da keinen Spaß. Selbst marginale Überschreitungen werden mit Bußgeldern um die 1000€ Belangt. Nein, ich habe da keine Null zu viel mit dran.



Besonders unfreundlich sind sie, was Alkohol am Steuer angeht:
Null-prozent! Nada. Keinen Tropfen.
Das war wohl nicht immer so: früher war ein Schlückchen vor der Fahrt schon gang und gäbe. Dann übertrieb es natürlich einer, und fuhr dem Vordermann hinten auf. Auf einer Brücke. Hat das andere Auto also ins Wasser geschubst. Das Ehepaar im vorderen Wagen konnte sogar noch gerettet werden. Die drei Kinder auf dem Rücksitz nicht.
Das hat zu einem öffentlichen Aufschrei und drastischer Stigmatisierung von Alkohol am Steuer geführt.
Was ich mit Stigmatisierung meine? Also mein Professor hat mir eingeschärft, dass - sollte ich je einen Unfall unter Alkoholeinfluss haben (sprich: ich das Auto um einen Bambus wickle), mir sofort das Stipendium gezwickt wird und die Uni mich exmatrikuliert. So von wegen: "Schande über den Clan bringen..."
Oh, und weil in Japan Gemeinschaft ganz groß geschrieben wird, werden auch gleich alle im Auto gemeinschaftlich mit-bestraft. Also sollten sie vorher genau schauen ob ihr Fahrer nicht vorher mal am Sake-Schälchen genippt hat.



Überhaupt: in Japan ist Verkehr nicht ganz ungefährlich. Zumindest sehe alle Nase lang Schilder die darauf hinweisen, dass es hier sehr viele tödliche Unfälle geben soll. Gut, ich persönlich werde gerade wegen dieser Schilder zum Sicherheitsrisiko, weil ich versuche die Schriftzeichen zu entziffern.
Was macht das Amt also, damit es auf den Straßen etwas sicherer wird? Klar: Leute ausbremsen. Grüne Welle gibt es hier nicht. Im Gegenteil: sobald Sie auf ihrer Ampel Grün kriegen, können sie sicher sein, dass die nächste Ampel pünktlich für Sie rot macht.
Achja, Ampeln, da war ja was: wer schonmal in Japan war wird gesehen haben dass es einige (immer mehr) Ampeln gibt, die einen eingebauten Count-Down haben. Sie zeigen also an, wann das nächste mal Grün (bzw. Rot) wird. Das gibts allerdings nur für Fußgänger. Autofahrer werden nicht informiert. Stört die Leute auch nicht. Selbst wenn ich, mit meiner sehr ausgeprägten Toleranz für "Dunkel-Gelb" noch über die Kreuzung husche, kann ich mir sicher sein, dass der Hintermann mir noch folgen wird. Sooo Rot war das doch noch nicht....



Eines noch: weil Leute immer fragen wegen Linksverkehr.
Man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran, auf der Linken Straßenseite zu fahren.
Woran man sich nicht gewöhnt, ist beim Abbiegen nicht den Scheibenwischer sondern den Blinker zu setzten. Also mit der rechten Hand. Na, die Leute werden schon verstehen was ich meine wenn ich links Wische!
Als ich mal wieder Deutsche Straßen unsicher gemacht habe, hat es auch nur 50 Meter gedauert sich wieder ans Rechts-frahren zu gewöhnen. Diese 50 Meter waren aber peinlich. So mit der gesamten Familie im Auto aus der Ausfahrt zu fahren, und nicht zu wissen auf welche Straßenseite man jetzt muss...
Gott sei Dank hat unsere Straße keinen Mittelstreifen.

Mittwoch, 17. September 2014

Jungfern-Arbeit

"Sie haben Glück!", sagte er zu mir. "Nächstes Jahr ist da diese in München! Da können sie einreichen."
Die genannte Konferenz ist die renommierteste in meinem Gebiet. Also: Top-Liga.

Wahrscheinlich hat er selber einfach nicht geglaubt, dass das klappen kann.
So nach dem Motto: wenn Studenten nach den Sternen greifen, erreichen sie vielleicht wenigstens Mutters Rockzipfel.
Und mit "Mutter" meine ich "Professor".
Und mit "Rockzipfel" meine ich "Hochschulabschluss".

Aber ich wusste da ja noch nicht worauf ich mich Einlasse.



Ich Acker also wie ein blöder.
Gott sei Dank ist Co-Autor #4 (stehen insgesamt 5 Personen als "Autor" auf meiner Arbeit"), also der ist ein Profi! Was Verbesserungsvorschläge angeht.
Man kann jedes Meeting so zusammenfassen:
"Das Paper ist zu lang, aber es muss noch viel mehr Zeug rein!"
Ich schreibe das Paper noch ein paar mal um.

Wochenende, Nachts im Labor. Wenigstens bin ich nicht der einzige der sich so einen Stuss zumutet.
Nachricht von Freundin: "Oh, du arbeitest so hart! Mach mal ne Pause! Ich komm' rüber und geb' dir ne Nacken-Massage."
"Hey, dass ist voll Lieb von dir, aber das brauchts echt net. Sind nur noch wenige Tage bis zur Deadline. Da muss ich jetzt durch"!
Um Mitternacht machen wir dann kurz Pause, hohlen wir dann den Finnischen Schnaps aus dem Kühlschrank.
Hat mir wirklich gerade ein Mädchen angeboten, eine Stunde mit dem Zug in die Pampa zu fahren, um mir den Rücken zu massieren?
Habe ich das wirklich abgelehnt?
Ich nehme noch einen Tiefen Schluck vom Schnaps! Dann arbeite ich weiter....


Co-Autor #2 meines Papers ist eigentlich nicht direkt in den Schreibprozess involviert. Das er überhaupt "Autor" ist, hat Labor-Politische Gründe. Anders gesagt: er braucht den Ruhm.
Dafür ist er Ansprechpartner wenn ich Hardware für den Prototypen brauche.
Das hat einen Haken: er ist (a) Japaner und (b) ...ähm... kein besonders ... "organisierter Arbeiter". (Sagen wirs mal so).
Ja solche Leute gibts.
Leider.
Denn (a) neigen Japaner dazu, zu allem erstmal "Ja" zu sagen um Konflikte zu vermeiden, und später einfach höflich so zu tun als hätten sie nichts gehört, und (b) verschludert er auch einfach oft Dinge.
Wenn man bei ihm etwas anfordert, weiß man also nie ob man es auch irgendwann bekommt. Und wenn man es nicht bekommt, weiß man nicht ob es abgelehnt oder einfach vergessen wurde.

Ich will also Micro-Controller haben. Die kommen.
Dann will ich leitfähigen Faden haben. Der kommt.
Dann will ich LEDs haben.... die kommen nicht.
Ich will sie nochmal haben, weil: sind echt wichtig. Kommen immer noch nicht.
20cent LEDs?! Das kann doch nicht so schwer sein? Doch sie kommen immer noch nicht.

Ich gehe nach Osaka, in einen Club zum, ...ähh... entspannen.
Da geben sie so Blinke-Blinke Spielzeug an die Kunden aus. Das sind einfach Schaumstoff-Röhren, die in verschiedenen Farben leuchten. Die kann man zum Takt Beat Lärm in der Luft wedeln oder andere Gäste damit hauen um ein Gespräch anzufangen. Naja, das Gespräch besteht dann darin sich mit Schaumstoff-Röhren zu hauen, aber man kann so ganz gut Leute kennen lernen.
Also, ich schnapp mir so ein Teil von einem Mädel das so aussieht als würde sie nicht dringend LEDs für ihre Forschung brauchen. Ich tanze noch kurz mit ihr, und verschwinde dann auf der Herrentoilette. Paranoid schaue ich mich nochmal um - ignoriere dann aber einfach dass Leute da sind - rupfe die Elektronik aus dem Schaumstoff, stopfe sie in die Hosentasche und entsorge die Überreste Schaumstoff-Leiche im Müll.
Das Spiel wiederhole ich vier, fünf mal, bis ich fürchten muss, dass jemand mitkriegt was ich da tue.

Ich komme Heim, mache mich fertig fürs Bett, ziehe die Hose aus - da Blinkt es mir aus den Hosentaschen entgegen.... endlich!

Monate später erkläre ich Leuten auf der Konferenz wie das Ding funktioniert.
Lauter renommierte Leute mit hohen Forschungs-Budgets.
Ich will ihnen fast sagen wo die LEDs her sind.
Nach der Konferenz kommt der Co-Autor #4 zu mir: "Gute Arbeit! Dein Prototyp war sogar für den Best Demo Award nominiert".
Ich hätte die Leute im Club in meiner Master-Thesis in den Acknowledgements unterbringen sollen...
"ich Danke der mit dem Halstuch für das BlinkeBlinke Spielzeug...".



Auf der Konferenz treffe ich dann endlich auch Co-Autor #3 meines Papers. Mir fällt auf, dass ich ihn nicht mehr gesehen habe seit bevor ich überhaupt mit dem schreiben angefangen habe. Auch meine emails hat er immer mit Nachdruck ignoriert (so dermaßen lautes Schweigen, da verstehen sie ihre eigene Wortlosigkeit nicht mehr). Ich gehe davon aus, dass er auch gar nicht weiß was drin steht. Aber hey! Jetzt ist er ja da um sich wenigstens die Präsentation anzuhören!
...
Na gut, im Publikum sehe ich ihn dann nicht mehr...

Sonntag, 24. August 2014

Verlängerung

Er klang so gut!
Den Master ein halbes Jahr vorziehen und dafür sofort in den Doktor-Kurs rein.
Stipendium läuft weiter, also bekomme ich über die drei Jahre grob 5 Millionen Yen (36.000 Euro), plus Studiengebühren, die ich ja nicht zahlen muss. Gut, jeden einzelnen Monat sind 1000 Öcken dann auch wieder nicht so viel wie ich als Arbeitnehmer bekommen würde, andererseits will ich eh lieber ein Start-Up gründen als arbeiten... wobei mir die Uni wiederum helfen würde.

Und überhaupt! Doktor! Ich! Muahahaha.

Also: Antrag gestellt. Antrag genehmigt gekriegt! Super!
Doch was man sich vorher nicht so genau überlegt hat, muss man sich halt im Nachhinein durch den Schädel schieben lassen.
Ein auf und ab des "war-das-jetzt-so-eine-gute-Idee"?


Was unsere Bibliothek halt so zum studieren hergibt...


Ich mache einen Monat Praktikum in Tokyo. Endlich mal weg aus der Isolation des Land-Campus.

Dann ist der Monat rum und ich denke mir: gut, jetzt bin ich auch wieder bereit für die ruhige Umgebung, wo man sich gescheit auf die Arbeit konzentrieren kann und nicht pendeln muss. Sauber und geräumig.
So mach ich mich auf den Heimweg. Und zwar sehr schnell.
Nein, so sehr zieht es mich dann doch nicht zurück.
Ich habe andere Sorgen: den letzte Bus! In Nara werden Abends recht zeitig die Gehsteige hochgeklappt, und ich habe keine Lust mit meinem ganzen Gepäck am Bahnhof gestrandet zu stehen.
Der weg bis Kyoto ist kein Problem: der Shinkansen-Schnellzug rast in Rekordzeit durch die Abenddämmerung.
Von Kyoto bis zum nächstbesten Bahnhof am Campus nehm' ich extra noch den teuren "Limited Express", denn so komme ich gerade noch rechtzeitig!
Ich springe aus dem Zug, hieve mein Gepäck die Treppe hoch, keine Zeit auf den Aufzug zu warten, renne zur Bushaltestelle, verschwitzt aber zeitig.... okay, wo ist der Bus?
Kein Bus.
Neuerdings fahren nach 8 überhaupt keine Busse mehr zum Campus.

Ich nehme den letzten Bus der zumindest noch etwas näher an die Uni hin fährt.
Der Bus nimmt meine Bus-Karte nicht an.
In Tokyo hatte ich meine alte Karte verloren und eine neue gekauft.
"Funktioniert die auch in ganz Japan?", habe ich gefragt,
"In ganz Japan", hat sie gesagt, "nur in einigen ländlichen Gebieten kann es sein, dass sie nicht akzeptiert wird."
Ich dachte sie meint irgendwo in Hokkaido oder auf Okinawa. Aber Nara zählt wohl schon als letztes Hinterland.
Wilkommen Zuhause! Dein Reisfeld wartet!




Am Campus wird ein Symposium abgehalten. namhafte Wissenschaftler aus aller Herren Länder kommen angereist, Vorträge werden gehalten, Bankett wird gegessen, Ausgetauscht wird sich.
Sie schauen sich sogar meinen Prototypen an und geben etwas konstruktive Kritik. Dann trinken wieder alle.

Das wäre doch was! So ein Leben! Ein paar Jahre Forscher. Teil dieser Gesellschaft der Visionäre und Vordenker. Um die Welt jetten! Konferenzen besuchen! Interessante Leute treffen. Zum steten Niederlassen ist es doch noch zu früh!
Auf geht's zu neuen Horizonten!

So eine schlechte Ausgangsbasis ist diese Uni dafür nicht. Vor ein paar Jahren wurde sie im Hochschul-Ranking sogar sie Nummer 1 in Japan. Der Professor hat viele Kontakte. Die Uni hat viel Geld und interessante Austauschprogramme. Warum nicht mal ein halbes Jahr Finland! (den Sommer bitte!) oder Neuseeland (den Winter bitte, weil dann haben die da Sommer).
Steckt doch mehr in so einem Studium als nur 60 Stunden die Woche im Labor...




Wochenende. Der Taifun schließt mich im Labor ein. Es ist unangenehm drückend schwül heiß und dunkel unter dem tief-grauen Himmel. Draußen gießt es wie aus Wok-Töpfen.

Kurze Pause und Fern-Unterhaltung mit einem alten Freund zu hause.
> Und, was machst du so?
> Wir waren gestern im Biergarten.
Biergarten. Da war doch was....? Draußen sitzen. Klare, trockene Luft. Gutes, kaltes Bier. Brezen, Obatzda, Wurstsalat...
Das Heimweh trifft mich wie eine Backfotzn.
Was zur Hölle mache ich hier?
Ich gehör' hier doch gar nicht her!
Mein Körper ist nicht gebaut für dieses Klima, und überhaupt, BREZEN MIT OBATZDA!




Der letzte Kurs. Vermutlich der letzte den ich je in meinem Leben belegen werde. (Im Doktor-Kurs gibt's keinen Unterricht mehr). Und es geht um: Management.
Also: wie man sein Start-Up als Unternehmensgründer managen kann.
Der Kurs ist so-so la-la, aber irgendwie doch interessant und ich freue mich, dass ich fast 60% von dem Inhalt direkt verstehe (ist schließlich Business Japanisch).

Aber etwas ganz anderes beeindruckt mich viel mehr:
Sonst habe ich eher Probleme mich mit den Japanischen Studenten anzufreunden.
Angepasst aber orientierungslos. Nur nichts riskieren und hoffen in eine große Firma reinzurutschen, egal als was. Null Eigeninitiative.
Aber hier tragen nun ein paar Studenten vor, die es wagen wollen ihre Ideen in Unternehmen zu verwandeln. Energetisch, begeistert, offen.
Na, das ist endlich wieder ein Teil von Japan den ich näher kennenlernen will.
Wenig bekannt ist ja, dass Unternehmertum eine alte Japanische Tugend ist. Zumindest laut dem Internet: getroffen habe ich noch keinen.
Bis jetzt...



Ich habe dann diese Woche mal meinen Forschungsplan für den Doktor eingereicht.
Das Abenteuer ist noch lange nicht vorbei!
... wohl oder übel...

Montag, 11. August 2014

Nach-arbeit

Vor gut einer Woche habe ich mein Praktikum bei einer ungenannten aber sehr großen Japanischen Firma in Tokyo beendet. Da bleibt noch etwas Luft für abschließende Bemerkungen und Anekdoten zu Arbeit und Stadt.



Das mit den unmenschlichen Überstunden ist wohl doch nicht so schlimm. Zumindest in meiner Firma wurde rechtzeitig Schluss gemacht, und die Scharen der Anzugträger strömten durch die Gassen zum Bahnhof. Mich eingenommen, ich kann also nicht garantieren ob nicht ein paar Arme Kerle jeden Tag bis in die Nacht hinein geschuftet haben. Die Kollegen haben es jedenfalls bestritten. Waren aber stets Morgens vor mir da und blieben Abends ein bisschen länger.
Jedenfalls kann man der Firma keinen Vorwurf machen. Jeden Tag Pünktlich zu Feierabend kam der Gong und die Drucksage, man solle doch auf seine "Work-Life-Balance" (das Wort haben sie aus dem Englischen eingekauft) achten und ein bisschen mit der Familie plaudern. Das ist ja die alternative Erklärung dafür, dass Japanische Männer erst so spät Heim kommen: sie verbringen nicht so gerne Zeit mit der Familie...



Unweit meiner Bleibe gibt es einen beschaulichen Stadtteil namens "Ebisu".
Kommt der Name bekannt vor? Beim Blog-Lesen fleissig aufgepasst und Notizen gemacht?
Genau: Ebisu ist hier eine bekannte Biermarke. Tatsächlich ist es eines der besten Biere in ganz Japan. Und hier war früher die Brauerei. Dann haben sie irgendwann einen Bahnhof gebaut, um ihr Bier besser vertreiben zu können. Der hieß dann folgerichtig Ebisu-Station. Und als sich immer mehr Leute rund herum ansiedelten (weil: wer will nicht neben der Brauerei wohnen?), haben sie den Stadtteil ausgehoben und Ebisu genannt.
Können wir das auch für München einführen?
Die Brauerei ist mittlerweile weg, der Stadtteil wächst und gedeiht.
Zweimal war ich dort, beide male um Freunde zu treffen (jedes mal andere).
Das erste mal waren wir dann auch Anständig im Ebisu-Restaurant. Dort haben sie zu ihrem japanischen Bier dann Deutsches Essen angerichtet, weil, naja, die Deutschen haben Erfahrung darin zum Bier passendes Essen zu machen. (Oder wollen sie Reis zu ihrer Halben?)
Das zweite mal wanderten wir unverhofft in ein Straßenfest. Super! Da holen wir uns ein Bier einer der Buden und schlendern durch die Nacht! Nur.. ein Problem... ES GIBT KEINEN EINZIGEN STAND FÜR EBISU BIER?! Also bitte...




 Wie Sie vielleicht schon verstanden haben, war Sicherheit und Geheimhaltung bei der Firma ja oberste Priorität. So musste ich bei Arbeitsantritt auch seitenweise Geheimhaltungs-Klauseln unterschreiben. Das sind im Prinzip dieselben NDAs (Non-Disclosure Agreement) die man auch im Westen kennt. Nur das jeder Punkt noch 3 mal genau abgegangen und auf der nächsten Seite nochmal im Detail erläutert wird. Also auch wirklich wirklich wirklich nix verraten, ne!?

So einen Echten Grund hatte das nicht. Die Firma spekuliert nämlich im großen Stil auf Patente. Es gab einfach eine Planvorgabe, wie viele Patente jedes Labor jedes Jahr hervorzubringen hat. Dazu haben sie dann allerhand Hilfsmittel, inklusive eine Wand-Tafel wo jeder Forscher für jede Patent-Idee ein Sternchen bekam. So als Motivation. So wurde das morgendliche "was-haben-wir-gestern-gemacht"-Meeting für die meisten auch zum "an-welchem-Patentantrag-haben-wir-gestern-geschrieben"-Meeting.
Wozu also Geheimhaltung wenn man eh vor hat jede Idee sofort zu Patentieren? Wir erinnern uns: Patente sind öffentlich einsehbar. Man verschenkt also das Geheimnis in der Hoffnung dass der Rechtsstaat einem dann ein Exklusivrecht einräumt.
Einem Kurs an meiner Uni zufolge scheuen viele Japanische Firmen sogar Patente, weil: die sind teuer in Japan, aber nicht so eine sichere Geldanlage wie anderswo. Man weiß also erst nach Jahren teuren Rechtsstreites ob das Patent vor Gericht irgendwas wert ist.

Naja, aus meiner Arbeit geht bestimmt kein Patent hervor, also kann's mir egal sein.


Sonntag, 27. Juli 2014

Seniorensport

Japaner sterben ja bekanntlich bald aus. Hört man zumindest immer wieder. Werden einfach nicht mehr genug neue Japaner geboren. Die Geburtenrate ist ein echtes Problem.
Was dabei oft vergessen wird: selbst wenn in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerung stark zurückgehen wird, es gibt momentan immer noch 1.5 mal so viele Japaner wie Deutsche (beide Länder sind fast gleich groß). Die können es also noch etwas ruhig angehen lassen mit dem Kinder kriegen bis sie so wenige sind wie wir.
Wir stellen also fest: in Japan muss es jede Menge alter Leute geben. Was machen die alle so?
Wenn sie nicht arbeiten (ich werde in Supermärkten an der Kasse gerne mal von alten Omas empfangen oder von rüstigen Opas auf dem Parkplatz eingewiesen)...
SPORT!

Und zwar nicht zu knapp...




Normalerweise benutze ich das Gym am Campus, weil: nah und kostenlos. Also sehe ich vor allem andere Studenten. Doch momentan bin ich nicht am Campus. Also habe ich mich beim örtlichen Spot-Club eingeschrieben. Neben körperlicher Ertüchtigung suchte ich auch soziale Kontakte zu anderen jungen, aktiven Menschen (... ja, ja, bevorzugt weiblichen Geschlechts).
Den Teil mit dem "jung" musste ich dann ganz schnell streichen. Der Altersdurchschnitt wird von den wenigen 40Jährigen noch gedrückt. Gedrückt wird sonst das schwere Eisen, von Opas.
An dieser Stelle würde ich mich gerne über die Senioren Lustig machen. Trau ich mich aber nicht, weil: die drücken mehr als ich!
Kein Scherz. Ich habe Bodybuilder-Opas Gewichte stemmen gesehen, die kein Student am Campus hoch kriegt.
Die alten Damen halten sich eher an die Fitness-Maschinen, machen da aber auch eine gute Figur. Ich will jetzt keine Sprüche über "Kontakte zu aktiven Menschen weiblichen Geschlechts hören"! Die sind alle seit 50 Jahren verheiratet, vermutlich noch mit einem von den Muki-Opas!



Das war auch nicht das erste mal, dass meine Sportlichen Leistungen von Rentnern in den Schatten gestellt wurden. Bereits letztes Jahr am Mount Fuji musste ich gedemütigt feststellen wie viele 80 Jährige einen Berg bezwingen, der noch von der Mittelstation aus höher ist als die Zugspitze... und keine Seilbahn hat. Gut, wenigstens war ich schneller oben.

Seit dem kam das Thema oft im Gespräch mit Japanern auf. Jedes mal habe ich dann meine Gesprächspartner gefragt ob sie auch schon oben waren auf dem heiligen Berg.
Waren sie nicht. Scheinbar geht man in Japan erst auf den Fuji wenn man über 60 ist.
"Sie gehen dann bestimmt auch, wenn Sie mal alt sind", sage ich scherzend.
"Ja, mit dem Hubschrauber", antwortet mein Kollege, nicht ganz so scherzhaft im Angesicht seiner momentanen Figur.

Überhaupt heben sich Japaner Sport gerne fürs fortgeschrittene Alter auf.
Was die suche nach den jungen, aktiven Menschen des anderen Geschlechts immer etwas einseitig macht.
Sie: "Du bist gut in Form! Was machst du denn für Sport?"
Ich: "Kampfsport. Gerade Kung-Fu, aber normalerweise Taekwondo. Oft gehe ich aber auch einfach nur so ins Fitness-Studio. Und du?"
Sie: "ähh.... also als ich in der High-School war...." (was so 5-10 Jahre her ist...)

Dabei gäbe es reichlich Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung. Alle paar hundert Meter gibt es in Städten einen "Koen", also einen öffentlichen, kostenlosen Park. Neben dem obligatorischen Kinderspielplatz und Baseball-Feld gibt es dort oft auch Trainingsgeräte, sauber aus rostfreiem Stahl geschweißt. Da kann man dann große, schwere Räder drehen, mit den Beinen Trittflächen schwingen und was den Körper sonst noch zum schwitzen bringt. Natürlich kann man den Park auch zum Joggen verwenden. Wird auch gemacht. Von allen Anwohnern über 50. Vielleicht habe ich ja nur das Schild nicht gesehen, das Jugendlichen den Zutritt verwehrt. Ach ne, Nachts sind die dann doch da. Trinksport, sie wissen schon.




Zur Ehrenrettung der jungen Generation sei noch angemerkt, dass Kinder bis 15 hier auch reichlich Sport treiben. Meine Kung-Fu Klasse ist von mit kleinen Rabauken und am Eingang meiner derzeitigen Muki-Bude muss ich mir den Weg durch eine Meute an Knirpsen bahnen, die zum Schwimm-Unterricht gekommen sind.
Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Lachend, weil ich denen Fitnessmässig noch was vormachen kann.
Weinend, weil ich die Zeit kommen sehe, wenn sie 16 werden und jegliche Bewegung einstellen werden.
Ich seh' euch dann in 50 Jahren wieder!


Dienstag, 15. Juli 2014

Konzernd

Und weil immer nur Studieren auch langweilig ist, dacht' ich mir: arbeitest halt mal wieder.
Also: Praktikum bei einer nicht genannten, großen Japanischen Firma.
Ja, so groß, dass auch Sie sie kennen würden, wenn ich sie denn sagen würde.
Was ich nicht tue, weil ich Problemen mit den Vorgesetzten aus dem Weg gehen möchte solange ich mein Praktikumszeugnis noch nicht habe.
Und Anonym kann man leichter lästern...



Also bin ich jetzt auch ein Anzug-tragender Sarariman. Zwänge mich jeden morgen brav in den Zug (nein, so schlimm wie das auf den Photos aussieht ist das bei uns glücklicherweise nicht) und marschiere dann vom Bahnhof zum Firmengebäude.

Ich verwende bewusst das Wort "marschiere", denn zusammen mit den Kohorten aus anderen Angestellten marschieren wir brav in 2-3er Reihen die Straßen herunter. Nicht ganz so geordnet wie beim Militär, aber schon beeindruckend.
An jeder Kreuzung steht ein Sicherheits-Mann. Also: von der Konzern-Sicherheit.
Der weist die Leute ein, schön am Straßenrand zu bleiben, stehen zu bleiben wenn Autos kommen, und sogar den ganzen Bogen über die Kreuzung zu gehen. So: abkürzen über die Mitte wäre zwar auch legal, sähe aber nicht so schön aus.

Wir haben dafür auch extra einen Knigge, wie wir uns außerhalb des Konzerngeländes verhalten sollen. Nicht dass da jemand rauchend, essend oder redend das Ansehen der geliebten Firma beschmutzt.

Laut einem bekannten, ehemals Angestelltem war das früher sogar noch schlimmer:
da drückte man ihm einen Wälzer in die Hand mit Regeln bis hin ins kleinste Detail,
wer wo im Aufzug zu stehen hat. (Tipp: der nieder-rangigste Angestellte muss an der Tür stehen und den Aufzug bedienen).
Da hat sich das Klima scheinbar ein bisschen gelockert.




Was dagegen noch ganz groß geschrieben wird ist: SICHERHEIT.
Moment, das war nicht groß genug:
SICHERHEIT!
Bis ich meine eigene Keycard (mit Passbild) hatte, konnte ich nicht einmal alleine aufs Klo gehen.
Also: bis zum Klo kam ich schon, aber nicht mehr zurück: gleich zwei Türen verwehrten unautorisierten Klogängern den Rückweg an den Arbeitsplatz.

Aber hey, das ist das kleinere Problem. Schließlich geht man nur 1-2 mal am Tag aufs Klo.
Das größere Problem ist das der Arbeitsplatz an den man zurück kehrt gar kein Internet hat.
Das macht das nachschlagen von Informationen ziemlich schwierig, vor allem weil die meisten Bücher im Labor Japanisch sind.
Ich verwende also mein Smartphone (also: auf eigene Kosten) um zu finden was ich gerade brauche.
Aber das Smartphone, abgesehen von dem Mini-Bildschirm, hat noch ein ganz anderes Problem: kann keine PDFs anzeigen. Also nix mit Paper lesen.
Die anderen Angestellten können mithilfe eines Passwortes vorübergehend das Internet verwenden. Also frage ich einfach einen Kollegen mir ein paar Dokumente herunter zu laden.
Okay, gemacht, ging ja doch.
Wie krieg ich die jetzt auf meinen Computer 'rüber?
Betretenes schweigen.
USB-stick geht nicht.
Grübeln.
Es muss sich dann noch ein weiter Kollege an meinem PC anmelden, um über einen Shared Server die Datei auf meinen Rechner zu ziehen.
Ich habe dann aufgehört nach Dokumenten zu fragen. Ich zerstöre ja mehr Arbeitszeit als ich leiste...



Da mach ich doch lieber erstmal erquickende Morgengymnastik! Das ist Teil der Firmenkultur: Über den Lautsprecher werden die Anweisungen in alle Räume übertragen. Und jetzt die Arme kreisen, 2, 3, 4, und die Hüfte, 5, 6, 7 ...
Nein, natürlich macht da keiner mit. Naja, geistig vielleicht. Oder eher nicht, weil sich alle geistig schon fit machen fürs Morgen-Meeting. Da müssen alle im Kreis stehen und Report geben: was sie gestern getan haben und was sie heute zu tun gedenken.
Das wird vom Aufseher auch alles in seinem Notizbuch festgehalten.

Montag, 30. Juni 2014

Sommermode

Ja, es ist mal wieder so weit: der Sommer ist da und ich schwitze wie ein Schwein (können Schweine überhaupt schwitzen? Nicht so gut wie ich auf jeden Fall!).
Denn mein Klimaanlagen-Boykott geht weiter! Für die Umwelt und gegen fiese Sommer-Grippe!
Denn solange ich noch etwas ausziehen kann, soll kein tropfen Öl (wir erinnern uns: Japan hat ja ein paar Probleme mit seinem Kernkraft-Programm) für mich verbrannt werden!

Und wie man stilvoll die Hitze übersteht, kann ich mir ja von den Einheimischen abschauen.
Oder eher nicht.
Einblicke in moderne Japanische Sommertracht.

(Nein, das ist sie nicht!)

Der Anzug tragende Sarariman (von engl: Salary-Man) gehört so fest zu Japan, dass ich mir die überfüllten Rush-Hour Züge gar nicht vorstellen kann ohne Anzug-Sardinen.
Das ist teils historisch bedingt. Als sich Japan nach langer Isolation im 19.Jahrhundert öffnete, erkannten sie schnell dass sie, um von den Westlern ernst genommen zu werden, die westliche Kultur zumindest äußerlich übernehmen müssen. Wer würde schon Leute in Samurai-Kostümen ernst nehmen? Das hatte aber eine problematische Seite: Europäische Mode ist für Europäisches Wetter gemacht. Krawatten haben sich aus Halstüchern entwickelt, und der Falt-Kragen war mal dafür da, damit man ihn bei kälte hochschlagen kann (oder besser gesagt: das runter-schlagen war mal ne tolle Idee weil der Stehkragen manchmal selbst für Nordeuropa zu heiß war).
In Japan ist es im Sommer aber eher tropisch schwül-heiß. Dafür ist der Anzug denkbar schlecht geeignet. Wie die Japaner das früher überlebt haben weiß ich nicht, aber sein ein paar Jahrzehnten haben sie ja Klimaanlagen. Damit können sie auch im Japanischen Sommer "Europäischer Herbst" spielen, mit richtig kaltem Wind zum Kragen hochschlagen.

Dummerweise brauchen Klimaanlagen Strom.
Habe ich schon erwähnt das Japan ein paar Probleme mit seinem Kernkraft-Programm hat? Ja?
Die Regierung hat sich da mal etwas einfallen lassen: "Cool-Biz". Eine Moderichtlinie, nach der Jackett, Krawatte und notfalls sogar lange Ärmel im Sommer zu vermeiden sind.
Wer jetzt denkt: wen interessiert schon was Politiker sagen, kennt die Regel-Liebe der Japaner noch nicht. Die Firmen schreiben das so tatsächlich ihren Mitarbeitern vor. So habe ich jedenfalls für mein Praktikum bei einem großen Konzern eine Einführung erhalten, die mich davon abhalten sollte Jackett und Krawatte zu tragen.
Ich persönlich komme ja eher von der anderen Seite, und trage im Sommer auf der Arbeit gar kein Hemd. Da habe ich dann auch keine Probleme mit Schweißflecken, und die Kolleginnen haben auch was zu gucken. Win-win!
Aber die meisten Japaner haben es nicht so mit deutschem Frei-Körper-Kult...
Also doch wieder Hemd und lange Hosen.




Frauen haben es da besser: da kann man einfach Rock tragen, und so die Stoffmenge gewaltig reduzieren. Aber einige Frauen haben da ein ganz anderes Problem:
Blässe.
Sie wollen gerne so weiß wie möglich sein. So ist hier das Schönheitsideal.
Und natürlich hat die Bekleidungs-Industrie da genau das richtige:
tief-schwarze Strumpfhosen, Handschuhe bis zu den Oberarmen, Hüte mit weiten Krempen, Sonnenschirmchen. Also packen sich die Japanerinnen im Sommer so dick ein, dass es selbst den Islamistischen Fundamentalisten eine Freude wäre. Wie sie das bei der Hitze aushalten weiß ich auch nicht.
Ich will nochmal meine "Oben-Ohne" Technik zur Körper-Klimatisierung vorschlagen!
Aus Umweltschutz- und Gesundheitsgründen!


Natürlich geht es in Japan auch "casual".
Eigentlich sogar zu sehr zu oft.
Ich spreche von Crocks!
Japaner lieben Crocks.
Nicht nur für zu Hause, auch zum Ausgehen sind die gut genug.
Vor allem Jungesellen tragen die Dinger gerne.
Habe ich schon erwähnt, dass ich Informatik studiere?
Ja, ich bin von Crocks umgeben.
Wie so oft hat Japan dann aus den luftigen Latschern gleich mal eine Kunstform gemacht. Da gibt es alle Farben (die sie noch nie an ihren Füßen sehen wollten), Formen (die ihre Füße nie annehmen sollten) und Extras. Es gibt ganze Shops sie ausschließlich Crocks verkaufen, natürlich mit Fachpersonal.
Und im Winter? Wohl etwas zu kalt für Plastik-Latschen.
Aber nicht doch: es gibt selbstverständlich auch gefütterte Crocks, mit warmen Kuschel-Flausch innen. Von außen sehen die immer noch genau so aus....



Montag, 16. Juni 2014

Nachbarn

Korea ist von Japan nur durch ein bisschen Meer getrennt.
Polen ist von Deutschland nur durch ein paar Meter Grenzgebiet getrennt.
Das hat sich für beide (Korea und Polen) bekanntlich als Problem heraus gestellt,
als die anderen beiden (Deutschland und Japan) meinten, sie bräuchten etwas mehr Land.
Die Beziehungen sind seit dem etwas frostig, doch während Willy Brandt sich zum Fugen kitten sogar hingekniet hat, muss man Japanische Politiker bis heute schubsen, damit sie so etwas wie eine Verbeugung machen.

Das finden die Koreaner nicht so toll, und so gibt es bis heute in regelmäßigen Abständen Proteste in Korea, um die Japaner daran zu erinnern, dass es da noch etwas zu kitten gibt. Über die Proteste wird in Japan auch jedes mal Berichtet, aber die meisten Japaner sind eher unpolitisch und nehmen das so hin. Echte Konsequenzen bleiben eh jedes Mal aus.



Aber auch die meisten Koreaner sehen das nicht so Eng. Zumal Japaner als Urlauber sehr willkommen sind: viele Verkäufer sprechen ein paar Brocken Japanisch (mehr als Englisch), und erlauben manchmal sogar das Bezahlen mit Japanischem Geld.

Umgekehrt stellen die Koreaner die größte Einwanderungsgruppe in Japan.
In Osaka gibt es ein Viertel namens Tsuruhashi: "Kranich-Brücke".
Das klingt zwar Ur-Japanisch, ist aber das Koreaner-Viertel, was man vor allem an der enormen Dichte an Koreanischen Barbecue Restaurants merkt.
Die sind zwar lecker, aber für Japanische Verhältnisse nicht sehr sauber, und für Koreanische Verhältnisse ziemlich teuer. (Die schlechte Kombination also).

Das tut der Popularität der Restaurants aber keinen Abbruch. Auch das Besteck nicht:
eigentlich bevorzugen Japaner Stäbchen aus Holz, gerne aus Billig-Holz zum danach-wegschmeißen, oder notfalls aus Plastik.
Koreaner verwenden Stäbchen aus Metall, dünn und trotzdem schwer, was etwas Eingewöhnungszeit kostet...




Auch in der Wissenschaft gibt es nicht viele Reibereien: jedes Jahr werden Austausch-Konferenzen zwischen Japan und Korea abgehalten. Die Professoren scheinen beste Freunde zu sein. Überhaupt scheinen diese Konferenzen mehr dazu zu dienen, mit alten Kumpels zu plaudern (auf brüchigem Englisch beiderseits, obwohl sich Japanisch und Koreanisch sehr viel mehr ähnlich sind als Englisch)... und, ähh.. einen Trinken zu gehen.
Allerdings gibt es in Korea keine große Bier-Kultur, was sie noch weiter verschlimmern in dem sie Kartoffel-Schnaps ins Bier mischen - wahrscheinlich um schneller über den fragwürdigen Bier-Geschmack hinweg in die Trunkenheit zu entfliehen....

Ein Saal voller verkaterter Professoren verschläft meinen Vortrag und wacht erst zum Mittagessen wieder auf - denn ein wichtiger Teil der Konferenz (oder: der wichtigste Teil?) ist sich gegenseitig in Gastfreundschaft zu übertreffen und eigne Kultur bestmöglich zu präsentieren, zumeist in Form von Essen.
Tatsächlich ist der kulinarische Unterschied zwischen Japan und Korea deutlich größer als man meinen sollte. Zwar gibt es Überschneidungen (Koreanisches Sushi heißt: Gimbap), aber auch Essen bei der der jeweils anderen Seite der Mund offen stehen bleibt. Sprich: man kriegt das Essen rein, den Mund dann aber nicht mehr zu.
Ein Japanischer Student erklärte auf meine Nachfrage, was ihm denn am besten Geschmeckt hat dann auch: ...der Reis.
Nein der Koreanische Reis schmeckt nicht anders als der Japanische.




Der Fairness halber bleibt anzumerken, dass in dem umfangreichen, oft leckeren und immer interessanten Menü auch ein paar.... "Spezialitäten" beinhaltet waren. Unter anderem ein eingelegter Fisch der so sehr stinkt, dass selbst unser Skandinavier ihn liegen ließ.
Der war aber die Ausnahme - sonst wird jeder der es etwas schärfer mag Korea sehr genießen.
Mahlzeit.

Montag, 26. Mai 2014

Lauter Verrückte

Wer sich ein bisschen mit Medien beschäftigt, der stolpert über den Begriff des "Common Consensus Narrative". Das ist "die Geschichte, auf die sich alle irgendwie geeinigt haben, dass es die Wahrheit ist".  Nachdem also alle glauben, dass der Hund einer Katze ist, ihn wie eine Katze behandeln und jedes katzenartige Verhalten als Beweis sehen, fängt der Hund irgendwann von selbst an zu Miauen.

Warum erzähle ich dass?
Weil ich irgendwie zwei Blog-Einträge pro Monat zusammen kriegen muss...

Nein, ernsthaft: der Punkt ist, dass Japan den Ruf hat, voller Verrückter und verrücktem Zeug zu sein.
Nicht, dass da nicht irgendwo ein wahrer Kern drin stecken würde, aber... sagen wir's so: ich habe mehr "Verrückte Japanische Fernsehsendungen" gesehen, als ich noch in Deutschland war. Keine Ahnung wo die Exporteure das Zeug auftreiben. Im Fernsehen läuft es jedenfalls nicht.

Wie gesagt: ich bestreite nicht, dass es hier reichlich merkwürdiges Volk gibt. Ich meine: hey, Ich studiere Informatik! Muss ich mehr sagen?
Aber auch in Deutschen Informatik-Kursen habe ich so allerhand gesehen. (Man fängt ja nicht deswegen mit Computern an, weil man sozial so super gut reinkommt, oder?).

Aber wie das so ist mit dem Ruf: die Leute hören ihn und kommen.
Ja, ganz genau: dies ist ein Beitrag über all die verrückten Ausländer hier, die Japan sich eingehandelt hat, und die noch jedes Klischee toppen.



Sie! Sie kam von einer der renommiertesten Unis der Welt. Das half ihr kein Stück, da sie weder wirklich programmieren konnte, noch von Algorithmen oder mathematischen Modellen viel verstand.
Wir mussten ein Projekt zusammen machen; ihr einziger Beitrag war, einmal das Projekt kaputt zu machen. Mehr Produktivität war dann nicht mehr drin. Lernresistent war sie auch.
Warum war sie dann da? Sie liebte Japanische Kultur! Also eigentlich nur die Comics.
Na gut - fast jeder hier findet die mehr oder weniger unterhaltsam.
Aber ihre Spezialität war, nur die Comics zu mögen die keiner kannte. Das betonte sie auch explizit. "Habe ich noch nie von gehört", war ein Satz der immer ein breites Lächeln auf ihr Gesicht zauberte. Comics werden scheinbar schlechter je mehr Leute sie mögen.... oder so...
Aber das konnte doch nicht alles sein, was sie an Japan findet, oder?
Nein: die mochte auch.... Perücken.
Jetzt würde ich gerne erklären, was es damit auf sich hat. Berühmte Japanische Perücken-Qualität oder so. Kann ich aber nicht. Sie trug auch nie selbst Perücken. Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu schreiben soll...



Ryu. Das war natürlich nicht sein echter Name, aber so stellte sich den Leuten gerne selbst vor. Das war der Name einer bekannten Video-Spiel-Figur. Er sah kein bisschen aus wie "Ryu". Leute, die ihn dann etwas stutzig anguckten (=alle), erklärte er noch, dass das japanisch für "Drache" sei. Das war auch nötig, denn durch seinen starken Amerikanisiert-Australischen  Akzent klang sein rollendes "Rue-You" nicht im entferntesten wie das japanische Wort "ryu". Als er sich dann so dem japanischen Assistenz-Professor vorstellte (ja, wirklich!), versteht der natürlich kein Wort. Verzweifelt versucht der arme Japaner "Rue-You" zu sagen, und wundert sich, in welcher Sprache das bitte "Drache" heißen soll. Und um die Situation noch absurder zu machen, verbeugt sich Ryu dann zum Gruß, und faltet dazu die Hände vor der Brust, wie man es aus Kung-Fu Filmen (und NUR aus Kung-Fu Filmen) kennt.

Er wird nach seinen Hobbys gefragt. Er bezeichnet sich selbst als "Kampfsportler". Er sieht nicht so aus als würde er überhaupt irgendeinen Sport machen. Lässt sich auch im Fitness Studio nicht blicken. Dafür bringt er jeden Tag eine Gitarre mit ins Labor, spielt nicht darauf, nimmt sie wieder mit Heim, manchmal auch mit in den Unterricht. Laut eigenen Angaben spielt er Schlagzeug. Vielleicht ist "Gitarre herumtragen" teil seines Kampfkunst-Trainings.




Hahahaha, jetzt glauben Sie, ich kann das nicht toppen, richtig? Jetzt denken Sie, da hat er den Bogen überspannt. Na, hören Sie sich das an:
Es gibt in Osaka eine beliebte Gaijin-Bar, die Hauptsächlich von Brasilianern betrieben und besucht wird. Einer der Barkeeper hat sich die (Ex)Freundin auf den Körper tätowieren lassen.
Welche (Ex)Freundin?
ALLE!
Der Mann ist eine wandelnde Galerie aus Frauengesichtern. Da ist Ms X auf der rechten Brust, Fräulein Y auf dem Bauch, eine Dame auf der Schulter...
Nein, kein Witz, keine Übertreibung. Selbst gesehen und bestätigt.
Tja, liebe Leserinnen, bewerben sich sich noch Heute um ihren Lieblingsplatz, bevor da schon eine andere hin kommt.

Haha, und Sie dachten Japaner seien verrückt!

Dienstag, 13. Mai 2014

Ganz neue Töne

Ich hatte ja vor langer Zeit schon mal davon erzählt, dass Japaner gern Lautmalereien in ihrer Sprache verwenden. Da kann ich noch ein paar besonders schöne Fundstücke nachlegen.

Es gibt im Japanischen kein echtes Wort für "klebrig", nur die Lautmalerei: beta-beta. Nein, damit ist nicht das unangenehme Gefühl gemeint, dass Software in der Beta-Phase bei Nutzern hervorruft, wobei das gewisse Ähnlichkeit hat. Beta-beta ist alles, was an der Haut klebt und zusammen-pappt. Gerne verwendet man es als Erklärung warum Natto (die vergorenen Bohnen) total ekelhaft sind: die sind soo beta-beta, dass sie lange Fäden ziehen. Sie haben also stinkende, klebrige Fäden im Mund. Bäääh(ta)!



Ich lerne, dass "puni-puni" etwas weiches, verformbares beschreibt, gerne auch Fettgewebe, ... ähm, "Baby-Speck". Ich finde das irre niedlich! Neckisch drücke ich meinem Mädchen meinen Finger in den Oberarm und grinse sie an: "Puni-puni". Sie grinst zurück, drückt mir ihren Finger in den Oberarm und sagt: "Muki-muki".
Ich falle aus allen Wolken und frage unten angekommen noch mehrfach nach bis ich's glaube. Ja, Japaner sagen zu festen, kaum nachgebenden organischen Stoffen "Muki-muki".
Gehen sie also besser in die Mucki-Bude als in die Puni-Bude!




Wenn etwas sehr flexibel ist, eigentlich zu flexibel, und daher vor sich hin wabert, dann könnte man funya-funya dazu sagen, oder? Tut man aber nicht! Funya-funya ist reserviert für Leute die so flexibel sind, dass selbst ein Fähnchen im Wind noch mehr Rückgrat hat. Wenn Leute mich also Fragen, ob mir ein Termin besser passen würde als ein anderer, sage ich ihnen, dass ich da ganz funya-funya bin und mach die entsprechende Armbewegung, die wohl eine Qualle machen würde, wenn sie denn Arme hätte und ihr alles funya-funya wäre. Die Leute verstehen und lachen.




Kennen sie Mikado-Stäbchen? Ich meine die Dinger die man essen kann, mit Schoko. Genau die!
Die heißen nicht Mikado! Die heißen Pocky. Warum heißen die Pocky? Weil dass das Geräusch ist, dass sie machen wenn man sie bricht: "pokki"! Laut Kennern Japanischer Knabbereien machen auch nur die Original Pocky-Sticks so richtig schön pokki! Das ist also das Qualitätsmerkmal. Kopien knacken vielleicht, aber nur Pocky macht echt pokki.
Ich stelle mir das wie eine Weinprobe vor: Gourmets brechen reihenweise Pocky-Stäbchen, versuchen am Klang den Jahrgang zu erraten (noch frisch oder schon funya-funya?) und werfen die Dinger dann weg, weil: auf Diät.