Donnerstag, 16. Oktober 2014

Finstere Nacht

Normalerweise schreibe ich hier zwei mal im Monat über die lustigen und interessanten Dinge in Japan. Ich nörgel über Problemchen, zelebriere kleine Erfolge, mache mich über allerhand Zeug lustig.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Es gibt auch Hässliches hier.
Das kann man verschweigen, aber damit fehlt dann auch auch ein wichtiger Teil.
Denn manche Sachen sind gerade in ihrer Hässlichkeit typisch für dieses Land.

Dieser Eintrag handelt von einem dieser Dinge.

------------------------------------------------------

Dienstag Nacht in der Haupt-Amüsier-Meile von Osaka.
Warum bin ich Dienstag Nacht ausgegangen?
Ich habe einen Flieger am nächsten Morgen, soll zu einer Konferenz fliegen.
So früh Morgens von meinem Kaff zum Flughafen zu kommen ist Zeitlich fast nicht zu schaffen.
Also halte ich mich für clever und mache die halbe Strecke schon am Vorabend, packe mein Gepäck ins Schließfach und gehe feiern.


Irgendwann habe ich dann Hunger, und gehe zum nächstbesten Konbini.
Für einen Dienstag ist sogar recht viel los.
Nicht so dicht gedrängt wie es hier tagsüber zu geht, aber es sind reichlich Leute da.
Ich komme an der Haupt-Touristen-Brücke vorbei (wenn sie jemals ein Photo von Osaka gesehen haben, dann von dieser Brücke aus).

Da Prügeln sich zwei.
"Prügeln sich zwei", beschreibt die Szene nicht so ganz.
Also einer hat den Anderen am Schopf und haut ihm wiederholt auf die Fresse.
Oder die Nase. Jedenfalls ist sein Gesicht schon voller Blut.
Wehren tut er sich nicht. Er klammert sich nur an der Hand fest die seine Haare gepackt hat.
Keiner tut etwas.
Außer einem Mädel, die wohl die Freundin des Angreifers zu sein scheint, etwas kreischt und versucht ihn weg zu ziehen.

Für eine Sekunde fühle ich diesen Berühmten "Social Proof" Effekt, nachdem jeder auf jemand anderen wartet den ersten Schritt zu machen, und aus der Menge keiner den ersten Schritt machen kann.
Wenn keiner was tut wird das schon einen Grund haben...
Eine Sekunde.
Dann fällt mir auf wie bescheuert das ist.
Ich gehe dazwischen.

Kurze Unterbrechung für zwei Hintergrundinformationen:
(1) bei einer Schlägerrei gibt es keine klaren Fronten "gut" gegen "böse".
Es gibt nur ein Gerichtsverfahren, Monate später, bei dem Anwälte darüber streiten wer mehr Honorar einsackt.
Sie haben bestimmt auch schon Geschichten gehört, wie die Polizei erstmal das Opfer einsperrt,
weil nicht klar war wer jetzt der Agressor ist. Mein Beamten-Japanisch ist jetzt auch nicht toll. Und ich bin stark angetrunken.
(2) Lesen Sie nochmal die Einleitung. Ich muss in wenigen Stunden in ein Flugzeug steigen und das Land verlassen. Das haben Polizisten jetzt überhaupt nicht gern, wenn Verdächtige oder Zeugen versuchen sich ins Ausland abzusetzen.

Von allen Anwesenden kann also gerade ich es mir nicht leisten, von der Polizei eingetütet zu werden.






Ich wechsle also von Plan A (dem Typen das Gesicht an sein Opfer anzugleichen)
zu Plan B: im Weg stehen und dummes Zeug labern beruhigend auf den Aggressor einreden.
Der Beruhigt sich aber nicht, stößt wilde Flüche aus versucht an mir vorbei dem Anderen immer wieder eine zu verpassen.
Was ihm auch gelingt, weil er immer noch dessen Haare festhält.
Das möchte ich gerne ändern, und versuche seine Finger aus der Frisur zu pfriemeln. Aber das Opfer hält mittlerweile meine Hände fest.
Ob er nicht kapiert, dass das NICHT dieselben  Hände sind, die er in die Fresse kriegt?
"Entschuldigung! Entschuldigung!", sagt er nur immer wieder.
Er blutet mich voll.
Mich und den Angreifer, der mit seiner Schlag-Hand das Blut auch schön verteilt.
Das hilft insofern, weil Blut ein gutes Schmiermittel ist und ich so meine Hände frei kriege ohne jemandem weh tun zu müssen.
"Ganz ruhig, ganz ruhig", sage ich zum anderen, als ich seine Finger aus den Haaren pfriemel.
Endlich sind sie raus.

Der Andere lässt sich fallen. Das hätte er nicht machen sollen: jetzt ist sein Kopf auf Fußhöhe.
Noch bevor ich etwas machen kann, kriegt er einen Tritt gegen den Schädel.
So ordentlich, dass ich überrascht bin dass er nicht KO ist... oder tot.
Sofort stell ich mich in den Weg. Der andere hat kein Interesse sich mit mir anzulegen und versucht nur an mir vorbei zu kommen.
Endlich kommt auch mal eine vierte Person hinzu. Zu meiner Verwunderung versucht der aber nur mich wieder aus dem Weg zu schieben. So nach dem Motto: ich solle mich doch nicht einmischen.
Das gibt dem Aggressor wieder eine Chance für einen weiteren Tritt gegen den Kopf.
Ich hab langsam die schnauze voll.
Wer ist der dritte Typ jetzt plötzlich?
Warum hilft MIR keiner?
Wo bleibt die Polizei?
Warum rennt der Depp am Boden nicht endlich weg, wenn er noch nicht KO ist?
Ich schiebe jetzt also zwei Japaner herum, um möglichst viel Abstand zwischen Aggressor und Möchtegern-Boxsack zu bekommen.
Gott sei Dank beruhigt der sich endlich.


Er flucht noch ein bisschen, wendet sich dann dem Mädel zu.
Das Opfer steht auf und verbeugt sich erstmal tief.
Nicht zu mir, sondern zum Angreifer. "Entschuldigung!" sagt er nochmal.
"Verpiss' dich endlich!", denk ich mir.
Dann geht er zu seinem Freund und...
ja, einer der Gaffer scheint sein Freund zu sein.
Also nochmal: sein Freund stand die ganze Zeit daneben! Und hat nichts gemacht.
Dann trotten die zwei davon, ohne sich nochmal umzuschauen oder mich auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bleibe allein zurück. Allein mit ein paar Dutzend Gaffern.
Alle schauen mich an.
Mit so einem Blick der sagt: warum hast du dich eingemischt? Ging dich doch nichts an? Blöder Ausländer.
Ich verstehe das alles nicht!
Ich will das alles nicht verstehen!
Ich drehe mich um und gehe weg.
In die falsche Richtung, also gehe ich wieder zurück.
Ich war keine ganze Minute lang weg, aber alle verhalten sich ganz nochmal als ob nichts gewesen wäre.
Das hat den komischen Effekt auf mich, dass ich auch so tue als wäre nichts gewesen und in den Club zurück gehe.
Erst am Flughafen merke ich, dass ich immer noch das Blut von dem Typen auf dem dunklen Hemd habe.

Naja, ich habe ja reichlich Wäsche zum wechseln im Gepäck...


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen