Donnerstag, 8. April 2010

Antischocken

Wenn man zu weit in eine Richtung geht - so wie Theorie der Krümmungen - kommt man irgendwann wieder an eben dem Punkt an, an dem man los gegangen ist.
Das wird natürlich dem Gefühl, weit gereist zu sein überhaupt nicht gerecht, und der Reisende erlebt infolge dessen einen sogenannten "Kultur-Anti-Schock", beginnt begeistert seine Heimatstadt zu photographieren (so etwas hat er wirklich noch nie gesehen) und versteht seine Nachbarn nicht, da sie keine fremde Sprache sprechen.

Doch selbst denen, die rechtzeitig in einem weit entfernten Land stehen bleiben droht das große Anti-Kulturschocken.
Keine Panik: hier ist durchaus fast alles anders als in Europa. Doch einen echten (positiven) Kulturschock zu erleben wäre auch etwas viel erwartet - schließlich habe ich nicht erst Gestern zum ersten mal von Japan gehört. Ich war also (zu) vorbereitet.

Um öfter haut es mich also auf's Maul, wenn die erwarteten Unterschiede ausbleiben. Das ging schon an dem Abend los, als ich hier ankam...

Da brachte mich ein Kollege zum nächstbesten Supermarkt um zumindest das nötigste fürs Tägliche Leben einzukaufen: Seife, Duschgel, Shampoo...
Das ist kein Problem, denn obwohl ich die Marken nicht kenne, ist die Produktgestaltung an Farben und Schriftarten international verständlich. Nur die Verpackung ist komisch: die Flüssigkeiten werden in einer Art Tüte verkauft.
Aber da ich durchaus auf schlimmeres Gefasst war, sind komische Verpackungen jetzt das mindeste, was ich erwarte. Bis der Kollege mich darauf hinweist, dass ich gerade versuche die NACHFÜLL-PACKUNGEN zu den Plastikflaschen am anderen Ende des Regals zu kaufen...
Um mein Gesicht zu wahren verrate ich ihm nicht, dass wir diese Nachfüll-Tüten in Europa auch haben.

Beim ersten Arbeitstag tritt dann ein "Assistant-Professor" an mich heran und will mich fragen, um ich zum Mittagessen mit in die Mensa kommen möchte.
Doch ich verstehe ihn nicht.
Selbst der zweite und dritte Versuch in seiner Sprache bekannte Worte zu finden scheitert.
Dabei weiß ich schon worauf er hinaus will (was soll er sonst um halb eins Vorschlagen wollen?) doch kein Wort in meinem Fremdwortschatz passt auf die Laute seiner Stimme.
Schließlich gibt er auf und sagt schlicht "Lunch?" - und ich sage "Yes."
Erst ein anderer Student (und stiller Beobachter der Szene) klärt mich schließlich auf: der Professor (der eine Zeit lang in Deutschland gelebt hat) hat versucht DEUTSCH mit mir zu reden.
Doch sein starker Akzent kombiniert mit meiner Fixierung auf Japanisch/Englisch hat diesen ehren Versuch der Gastfreundschaft zunichte gemacht.
Die Chance zur Völkerverständigung zerging in einem für alle Beteiligten sehr peinlichen Moment...

Da helfen auch die Reiseführer wirklich nicht weiter. Ganz im Gegenteil.
So zögere ich während einem Fest-Essen (zu ehren zweier Absolventen) den ganzen Abend damit mir selbst Nachzuschenken. (Angeblich tun dies in Japan stets die Sitznachbarn - selbst das Glas zu füllen schließt also die Aussage mit ein, man werde nachlässig behandelt) Daraufhin muss ich am Ende des Abends der Frage ins Gesicht sehen, warum ich als Deutscher so wenig Bier getrunken hätte.
Das Versagen, die Ehre meines Bier-Berühmten Vaterlandes zu verteidigen wäre nicht so schlimm gewesen, wenn mich mein Reiseführer dafür wenigstens davon abgehalten hätte, wie ein Trampel vor dem Anstoßen zum Wohle der Gefeierten alleine mit dem Saufen zu beginnen...
Wenigsten saß ich in einer dunklen Ecke - so blieb mein Affront von den meisten unbemerkt.

Schlimmer wenn man mitten im Mittelpunkt steht. Nachdem ich eine kurze Präsentation gehalten habe, versuche ich Nürnberger Lebkuchen an die Anwesenden zu verteilen. Doch auch der dritte Wink mit dem Zaunpfahl rettet mich nicht und ich steuere ins Verderben. Hätte ich nicht so viel Literatur über Höflichkeitsriten gewälzt hätte ich mir von selbst denken können, dass man auch im - ach-so-hierarchischen und frauenverachtenden Japan eben NICHT mit dem ranghöchsten Professor zu verteilen beginnt, sondern - Ladies first - zuerst den anwesenden Damen anbietet. Auf jede der drei Frauen muss ich also einzeln hingewiesen werden - was für jede folgende Dame natürlich um so peinlicher wird.
(Und natürlich reichen die Lebkuchen auch nicht für alle... ganz großes Kino).

Jetzt aber genug der Peinlichkeiten - zum Abschluss ein paar Bilder über das schöne Gefühl Zuhause zu sein - am anderen Ende der Welt...


Unweit des 7-11 Marktes, wo ich immer mein Geld hole befindet das Cafe "Alpenrose"...


In der Fassade meines Wohnhauses spiegelt sich ein Mosaik von Einstein. Man kann es sogar vom Satelliten aus sehen: (maps.google.co.jp). Rundherum: Antike-/Renaissance-Statuen und eine "Archimedes"-Pumpe.

Dieser fahrende Bäcker verkauft vor dem örtlichen Supermarkt ein Gebäck namens "Burettselu":
Jedes mal wenn ich jedoch danach Frage entschuldigt er sich: die Brezeln seien heute schon gar. Es weist aber jedes mal darauf hin, dass Brezeln besonders lecker seien und er selbst jeden Tag Brezeln esse - worauf hin ich ein Melonen-Brot kaufe.

Wenn ich in München jemals einen Bäcker Melonenbrot verkaufen sehe, erzähle ich ihm diese Geschichte; dass Melonenbrot sehr lecker sei; dann kaufe ich jedoch lieber eine Brezel.

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