Dienstag, 13. April 2010

Tor-ismus

Achtung: Nörgel- und Mecker- Text voraus!
In seinem Buch "Gebrauchsanweisung für Japan" führt der Autor Andreas Neuenkirchen eine starke Argumentation für den in Deutschland/Österreich so verachteten Touristen.
Man solle doch sein Interesse an dem Land wertschätzen anstatt seine mangelnde Individualität und Authentizität zu benörgeln.
Das fand ich durchaus überzeugend - und habe mir mehr Respekt vor dem gemeinen Touristen einreden lassen. Nicht dass das auf Gegenseitigkeit beruhen würde:


Da ich selbst wenig mit Sight-Seeing und Pauschalreisen anfangen kann, stehe ich jede Woche vor demselben Tribunal und der Frage: "Was hast du gemacht, dieses Wochenende?"
Am Anfang habe ich naiv geglaubt, die Frage sei wörtlich gemeint. Ich habe dann erzählt, wie Ausflüge in die Umgebung unternommen habe, über Bambus-überwuchterte Hügel und durch versteckte Täler, über Reisfelder und durch Dörfer. Ich habe erzählt, wie einen alten Mann getroffen habe der, als er erfuhr dass ich Deutscher sei mir ganz begeistert erzählt hat, dass er früher in der Druckerei an einer "Heidelberger" gearbeitet habe, und was für eine "gud maschin" das war. Von meinem Kampf mit den Bankautomaten und wie ich einen teilweise verlandeten Kanal entlang gewandert bin (was immer schwieriger wurde, weil immer weniger Land und immer mehr Wasser im Kanal war).
Diese Geschichten waren dann meist von einem mehr oder minder deutlichen "Also hast du nichts gemacht?" unterbrochen, gefolgt von der Richtigstellung: "welche SEHENSWÜRDIGKEITEN hast du besucht". "Keine." "Ohhhh...".


Wohlgemerkt: es handelt sich nicht um die japanischen Kollegen (da sind die Sprachbarrieren noch viel zu hoch), sondern um die anderen Ausländer. Da werden meine Versuche, Land und Leute kennenzulernen nicht für voll genommen - wenn die Gegend nicht im Reiseführer auftaucht gibt es dort nichts zu sehen. Punkt. Aus. Ende.
Dass es nicht akzeptiert wird, dass das Land nicht nur aus seinen Attraktionen besteht finde ich um so unverständlicher, da die Touristen-Fraktion keine Gelegenheit verpasst mir beste Munition in die Hand zu geben um sie zu demontieren (was ich mir jedes mal verkneife).
Das ist diese Fraktion die zum Mittagessen in der Mensa und im Restaurant meist pseudo-europäische Gerichte bestellt. Sie essen dann ihre Spaghetti mit ihren Stäbchen und schlecht gewürztes, überteuertes Brathändl mit Senf und erzählen mir was man hier so alles sehen kann.

Eine Philippina erzählt, wie sie letztens die Festung in Okasa besucht hat - "aber die war langweilig". Natürlich hat sie trotzdem Photos gemacht - wenn man schon eine langweilige Festung besucht, muss auch langweile Photos machen, sonst gilt der Besuch scheinbar nicht. Sie zeigt uns die langweiligen Bilder auch. Eines interessiert mich dann doch: es zeigt ein Modell einer Brücke (vermutlich in einem der umliegenden Museen) - sehr detailliert und liebevoll gestaltet. Da will ich mehr wissen: was ist die Geschichte dieser Brücke? Hatte sie einmal strategische Bedeutung oder warum haben sie das Modell aufgestellt? Aber das weiß die Dame natürlich nicht - wenn man schon eine langweilige Festung erträgt und eine langweilige Brücke photographiert braucht man nicht auch noch den Text daneben lesen.

Auch bei der näheren Umgebung wird mit feinster Ignoranz geglänzt. Ich erzähle wie sehr mir hier die Bambuswälder gefallen, und das Geräusch das sie machen, wenn der Wind hindurchfährt. Eine andere Frau aus der Touristen-Fraktion fragt mich dann, WO denn "diese Wälder" gewesen wären...
Zur Erklärung: Es ist in dieser Landschaft nicht möglich mehr als 100 Meter gerade aus zu gehen, ohne mitten im Bambus zu stehen. Scheinbar sind 100Meter schon zu weit für Sight-Seeing. Oder zu kurz. Denn für die bevorstehenden Feiertage ist der Flug nach Taiwan schon gebucht. Scheinbar hat man nach 1-2 Jahren schon alles alles alles von Japan gesehen. Alles außer Bambuswäldern oder dem Dorf hinter dem nächsten Hügel.

Den Vogel abgeschossen hat dann aber eine Einladung zum Hana-Mi.
Kurze Erklärung: Hana-Mi ist der japanische Brauch, zur Kirschblüten-Saison ein Picknick im Park zu machen. Es werden Snacks gegessen und Alkohol getrunken und irgendwann stellt sich dann eine typisch japanische Gemütlichkeit unterm Kirschbaum ein. Beachten sie gewisse Parallelen zum Biergartenbesuch.
Ich werde also von den Landes-kundigen Touristen - nicht von den Einheimischen - zum Hana-Mi eingeladen, und sage freudig zu! Doch schon bei den Vorbereitungen wird klar: es wird nichts zu trinken eingepackt. Noch kein Grund zur Panik - ich kann auch ohne Alkohol gemütlich sein. Wir fahren eine knappe Stunde in die Stadt hinein. Detail am Rande: die Züge fahren hier oft nicht unterirdisch, sondern auf Hoch-Terrassen, und bieten damit einen schönen Überblick über die Stadt. Die Touris starren deweil auf ihre Handys. Vielleicht haben sie darauf ja langweile Photos von berühmten Aussichtspunkten. Wir kommen also an, und brauchen eine weitere Halbe stunde, bis sich die Leute auf ein Restaurant geeinigt haben. Es wird also auch nichts zu Essen geben. Dafür gibt es jetzt Bürger aus einer Fast-Food kette. Das Essen wird erstmal photographiert. (Glaubt einem zuhause keiner, dass es hier Hamburger gibt!) Danach wollen sie wieder in den Zug steigen - ich ziehe die Notbremse (im übertragenen Sinn!) und frage wo sie denn eigentlich hin wollen. Die Antwort: etwa 2 Zug-Stunden entfernt gibt es einen ganz tollen Park für Hana-Mi.
Mir wirds zu blöd und ich fahre wieder zurück - was mir allgemein auf mein Stubenhocker-Image angerechnet wird.
Nochmal zur Zusammenfassung: diese Leute fahren insgesamt 3 Stunden mit dem Zug durch die Stadt, um zu einem ganz speziellen Park zu kommen. Dort haben sie nichts gegessen und nichts getrunken, kein Picknick und keine Fest gemacht. Und bezeichnen dass dann als "Hana-Mi"!
Nochmal auf deutsch (bayrisch): Sie sind von Starnberg zum Ostbahnhof gefahren um einen ganz speziellen Biergarten zu sehen, essen auf dem Weg bei McDonalds, trinken nichts und glauben dann typisch bayrische Gemütlichkeit kennen gelernt zu haben.
Und ich bin der Depp.
Naa, iss scho recht!

Zum Abschluss meines "Tourismus stinkt"-Textes noch der Photo-Vergleich. Hier der "musst du gesehen haben!"-Trip zum weltberühmten Festival eines weltberühmten Tempels im weltberühmten Nara, zu dem ich mich habe mitschleifen lassen:

Ahh, in einer halben Stunde gehts los - ich wünschte wir wären näher an den Tempel gekommen...

Ahh! Da ist einer von den Fackel-Trägern! Nein, das Linke!

Jetzt sind wir fast am Tempel! Natürlich ist das Festival schon lange vorbei...
Und nun mein Stubenhocker-Ausflug ist total langweilige da unbekannte Ikoma:

Ich glaube ich habe mich verlaufen - aber wo führt nur diese verschlungene, von Kirschblüten überwuchtere Treppe hin?
Nicht im Bild: ich treffe einen Kanadier, der schon seit Jahren hier wohnt und mich daher vor den heißen Sommern warnt. Ich frage japanische Besucher nach dem Weg (scheinbar ist die Treppe ein Geheimtipp der Anwohner und freue mich, dass mein Lehrbuch mir 10 Wörter für "wunderschön" und kein einziges für "hässlich" begebracht hat (hätte ich hier nicht gebrauchen können). Und: eine Frau mit einem Restaurant für Internationale Spezialitäten bittet mich, bei Zeiten vorbei zu schauen und etwas über die deutsche Küche zu erzählen.

Die Treppe führt zu einem Tempel, der zu allem Überfluss heute auch noch ein kleines Fest hat.
Nicht im Bild: ich esse Oktopus-Bällchen und kaufe Glücksbringer. Wie ich später sehe tragen viele Japaner dieselben Beutelchen an ihren Geldbörsen und Rucksäcken. Ob echte Religiosität dahinter steht oder nur Ästhetik habe ich noch nicht herausfinden können.

Der Tempel liegt wirklich direkt am Mount Ikoma und hat ein weit verzweigtes Netz von Kapellen und Statuen. Es ist also mehr eine Bergwanderung als ein Kirchenbesuch.
Nicht im Bild: ein freundlicher japanischer Herr rettet mein Seelenheil, indem er mich in die Verhaltensregeln beim Tempelbesuch einweiht. (Gleich der Tipp: Räucherstäbchen niemals anpusten, um sie zu entfachen).

Auf Ikoma-yama hätte es auch einen Vergnügungspark gegeben - den haben mir die Touristen empfohlen.
Was bin ich froh, dass ich mich verlaufen habe...

3 Kommentare:

  1. Nach den Bildern wäre es schön wenn du dich mit uns verlaufen würdest, wenn wir nach Japan kommen.

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  2. Ha, du kennst die falschen Leute. Haste schon ein Fahrrad? Damit findet man die tollsten Sachen (Außerdem sind die Räder in den richtigen Läden spottbillig.). Das ham wir Wochenlang gemacht am Abend aufs Rad schwingen und in eine Richtung gurken bis man was Tolles findet. Man findet immer was :)
    Maaa, will auch Kirschblüten... Immerhin blüht hier bald der Apfelbaum im Garten ;)

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  3. Die Erfahrung hab ich eigentlich auch gemacht - man findet immer irgend etwas.
    Aber leider auch nicht immer das was man will (dieses Wochenende war offizielles WE des "ich finde den Ort mal so überhaupt gar nicht, dass kracht!"
    Ein Rad wäre eigentlich schon mal angesagt - so langsam werden die Wege zu lang für Fußmärsche...
    Und für Kirschblüten siehe bitte nächsten Blog-Eintrag...

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