Freitag, 19. April 2013

Forsch!

Wir hören die Frage heute schon zum vierten mal...
> "So... like.. If I do not know what is Augmented Reality, what is it can you explain me, and why you use it, in your research? How is better, than traditional?"
Japaner sind Meister darin mit freundlichen Fragen ungeheuren Druck zu erzeugen.
Klingt doch nett, so nach den Grundsätzen zu fragen, gar nicht böse formuliert.
Aber wenn man seit mehreren Jahren an einem Thema herum-studiert, herum-forscht und herum-experimentiert klingt das eher so nach:
> Haben Sie überhaupt verstanden, was sie da machen?
> Was haben Sie denn überhaupt beizutragen zur Entwicklung der Computertechnologie?
> Klatschen sie da nur neue Technologien aneinander?

Unsere Uni hat - noch mehr als andere Unis - einen starken Fokus auf Forschung: selbst Master-Arbeiten und Semester-Projekte müssen immer immer immer auf aktuellster Forschung aufbauen, und davon ausgehend etwas neues bieten, dass so noch nie jemand gemacht hat, und das ganze dann auf internationalen Konferenzen (und deren Journals) präsentieren.

Rechnen wir kurz nach: wie viele Millionen Studenten machen jedes Jahr ihren Master? Doktor? Wie viele Forscher und Professoren kommen noch dazu?
Wie viele Jahre wird schon auf diesem Gebiet geforscht?
Wie viele Arbeiten veröffentlicht ein so ein Journal überhaupt im Jahr?

Wenn sie gerade erst anfangen, wie lange werden sie wohl brauchen bis sie sich durch Stapelweise Bücher, Papers, Artikel und Webseiten gequält haben (der Schreibstil hilft nicht unbedingt weiter)?
Wie viel Zeit und Gehirn haben sie dann noch übrig um sich etwas neues Einfallen zu lassen, dass sie in ihrer Rest-Regelstudienzeit noch fertig stellen können?

Da ist es leicht zu verstehen, warum kaum ein Doktor-Student pünktlich mit seiner Arbeit fertig wird.
Trotzdem werden sie dann sofort aus dem Studentenwohnheim geschmissen ("rgelstudienzeit abgelaufen").

Und wenn man dann ein Thema findet, dass man überhaupt irgendwie lösen kann, ist die Gefahr groß dass irgendwer anders das eh schon mal gelöst hat.

Zeit zum geordneten Verzweifeln.



Eine taiwanische Kommilitonin wollte irgedwas mit Erziehung, Schule und Augmented Reality machen.
Jetzt pflanzt sie Bohnen im Labor.
Und jeden Tag zeichnet sie die wachsenden Sprösslinge auf einem Block ab.
Warum sie das macht? Keine Ahnung - sinnvolle Erklärung gehört habe ich nicht. Ab und zu fürchte ich sie hat einen Witz des Professors zu wörtlich genommen.
Hintergrund scheint jedenfalls folgender zu sein:
In Japan ist das eine Beliebte Projekarbeit in Grundschulen - die Kinder sollen so etwas über Pflanzenwachstum lernen. Und sie will das irgendwann mit dem iPad "augmentieren".
Wir freuen uns jedenfalls schon auf die leckeren Bohnen.


Das Semester beginnt, und die Labore werben mit ihren Projekten um neue Studenten. Obwohl ich offiziell selbst "Neuer Student" bin, soll ich als "Labor-Veteran" etwas vorstellen - aber nicht mein eigenes Projekt, sondern das eines japanischen Doktoranden. Also bekomme ich 5 Minuten vor Beginn selbst die Blitz-Einführung.
Zwei Wochen später bekomme ich sie nochmal in Englisch und verstehe endlich den Inhalt.
Ich weise darauf hin, dass die Demonstration denkbar schlecht gewählt ist um den Vorteil der neuen Technologie darzustellen.
> Danke für die Anmerkung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Das ist bewusst so gelöst, denn momentan funktioniert der Algorithmus nicht.
Er hat also absichtlich eine Demo vorbereitet bei der man nichts versteht, damit man nicht sieht dass es gar nicht geht.
Brilliant!


Der Professor drängt einen anderen International Student: bis zu seinem Master im Herbst muss er unbedingt noch ein Paper veröffentlichen, am besten in SIGGRAPH oder EuroGraphics.
Wer die nicht kennt: das sind die weltweit renommiertesten Konferenzen auf dem Gebiet der Computergraphik.
Wer hier rein will hat zur Konkurrenz:
- hauptberufliche Forscher, die verzweifelt Professor werden wollen
- Professoren mit 30+ Jahren Erfahrung in dem Gebiet, die einen Ruf zu verlieren haben
- Multi-Mullionen Dollar Konzerne, für die eine Nasenlänge Vorsprung Milliardengewinne bedeutet.
- etwa eine Million japanischer Doktor-Studenten ohne (privat)Leben
Also ganz ernst meinen kann er das nicht, aber vielleicht soll es auch nur der Motivation dienen.
Eine berühmte Amerikanische Universität hat das Motto: "Wenn dein Ziel der Himmel ist, peile einen Stern an." (Distanzunterschied: etwa Faktor 10 hoch 11).
Im kleinerem Maßstab heißt das:  "Wenn du eine halbwegs sinnvolle Master-Arbeit schreiben willst, versuche eine Bahnbrechende Neuerung zu erfinden."
Oder auch: "Wenn du zum Supermarkt fährst, programmiere dein Navigationsgerät nach Timbuktu!"



Mein "Forschungsthema" (ich traue mich ja immer noch nicht, dass ohne Anführungszeichen zu schreiben), habe ich mir vor mehr als drei Jahren ausgedacht. Beim Friseur. Als ich gerade gewartet habe und mir dachte: du musst dir noch irgendwas aus den Fingern saugen für deine Bewerbung.
Doch es blieb nicht nur bei einer Bewerbung, und plötzlich wollen alle, dass ich das wirklich umsetze.
Seitdem haben wir viel Spaß miteinander, ich und mein Thema. Unsere Lieblingsspiele sind: "Geht gar nicht", "Will niemand" und mein absolutes Lieblingsspiel: "Gabs schonmal".
Kennen Sie nicht? Hier die Regeln:
1.: Ich finde Hinweise auf einen Artikel (vorzugsweise aus den 90ern), der laut Titel/Inhaltsangabe scheinbar GENAU DASSELBE SCHONMAL GEMACHT HAT.
2.: Ich suche im Internet verzweifelt nach dem Artikel, vorzugsweise ohne 50€ dafür zahlen zu müssen. (Wir erinnern uns: es geht um 3 DIN-A4 Seiten aus den 90ern).
3.: Einem Nervenzusammenbruch nahe überfliege ich den Text...
4.: ... es geht um etwas total anderes. Woher der Autor die Fantasie hat diesen Titel zu wählen - steht nicht da.
5.: Ich brauche eine Kaffepause bevor ich mich wieder beruhigt habe und den Text wirklich lesen kann.
6.: Es überrascht mich, wie jemand in den 90er Jahren etwas bauen konnte das heute noch wie Science-Fiction klingt - und dann hat 20 Jahre niemand etwas daraus gemacht.
7.: Am Ende des Artikels stehen die Quellenangaben (also zwangsläufig noch ältere Texte). Mindestens drei davon KLINGEN GENAU SO WIE MEIN FORSCHUNGSTHEMA (Gehe zu Punkt 1).

Doch ganz im Gegensatz zu meinen Nerven erweist sich mein Projekt als erstaunlich solide.
Vielleicht hätte ich dem Friseur ein Trinkgeld geben sollen.
So viel Glück (lies: Frisur!) ist wohl die Ausnahme...

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