Montag, 1. April 2013

Jubeljahr

Ja, es ist soweit: heute vor einem Jahr bin ich nach Japan zurückgekehrt.
Oft schreibe ich hier über die kleinen und großen Verrücktheiten, Probleme und was sonst noch so nervt und freut.
Natürlich schreibe ich nicht alles - weil: passt ja auch nicht immer in den Artikel.
Aber manches muss dann doch noch gesagt werden.
Hier also ein Jahresrückblick mit den schönsten Tiefen und Höhepunkten des Jahres 4/2012 - 3/2013



Juli:
Zwar hatte ich ein Stipendium für ein Studium, aber den Studienplatz hatte ich noch nicht.
Also sitze ich jeden Tag über meinen Büchern. Ich übe wie man Matrizen invertiert, lerne wie man Differenzialgleichungen löst, zerbreche mir den Kopf über Konvergenz-Beweise - also alles was ich aus dem Grundstudium noch können hätte sollen...

Dann ist der Tag da.
"Hilfsmittel und Notizen sind nicht erlaubt."
Das soll wohl ein schlechter Scherz sein - erwarten die, dass ich Kopfrechne?!
Ja, tun sie.
Ich werde nervös.
Ich verrechne mich und sehe die versteckte Abkürzung im Zahlenlabyrinth nicht.
Ich werde noch nervöser. Hab ich schon erwähnt, dass die ihr Stipendium zurück fordern können, wenn ich die Aufnahmeprüfung nicht schaffe? 
Wenn der Körper in Panik gerät wägt er ab was die besseren Überlebenschancen bietet: weglaufen oder zuschlagen.
Vor den beiden Professoren die meine Arbeit an der Tafel kritisch beäugen ist beides kein guter "Plan B". Sie starren mich an - selbst im Boden zu versinken würde mich jetzt nicht mehr retten.
Ich bekommen keine zwei Zahlen in meinem Kopf mehr multipliziert.
Will Informatik studieren. Kann nicht multiplizieren.
Versucht erklären.
Versagt.

So viel Alkohol habe ich gar nicht im Kühlschrank wie ich an diesem Abend saufen möchte.
Irgendwann saufe ich die Dose Tomatensaft aus und feuere sie in die Ecke.
Sie landet auf dem Haufen Weißblech, der bis vor kurzem noch Bier und Cocktails enthielt.
Warum zur Hölle habe ich Tomatensaft gekauft?
Viel wichtiger: ist noch Sake da?

Zur routinemäßigen Bestätigung meines Versagens rufe ich dann Tage später das Ergebnis ab.
Da steht für meinen Bereich und Studienbeginn genau eine Nummer.
Meine Nummer.
Das muss die "nicht angenommen" Liste sein.
Es ist die "bestanden" Liste.
Eine Nummer.
Meine Nummer.

WAAAAAAAAAAAAS?!

(Zur halben Erklärung: kaum einer nimmt so früh schon die Aufnahmeprüfung für nächstes Jahr, und die Aufnahmeprüfung bestand aus mehr als nur der Mathe-Prüfung, und wahrscheinlich werden Stipendiaten sowieso immer aufgenommen.
Aber wie sie dieses Versagen schön reden konnten verstehe ich bis heute nicht...)






August:
Tipp: wenn sie einen leichten Anflug einer Erkältune verspüren, und einer ihrer Freunde seit kurzem aufgrund einer Virus-Infektion sehr heiser klingt, dann gehen sie am besten aus, zum Karaoke oder versuchen in lauten Bars mit Mädchen zu flirten.
So kommen sie zu ihrem unfreiwilligen Schweigegelübde.
Denn als ich in der folgenden Woche mit Freunden einen "geheiligten Berg" besichtigen gehe, übernachten wir echten Tempel (mit Buddhistischer Morgenandacht).
Und ich bin absolut sprachlos.
Ab und zu krächze ich ein bisschen.
Das gefällt dem Türkischen Mädchen: endlich halte ich mal die Klappe.
Muss ich meine Sticheleien halt den Leuten ins Ohr flüstern.
Das gefällt ihr wieder gar nicht, weil sie jetzt nicht mehr weiß, warum gelacht wird, aber sicher ist, dass es um sie geht.
Der Fremdenführer fragt mich wo ich herkomme.
> "Doitsu"
Er fragt nochtmal.
> "Doitsu!"
Er schaut die anderen fragend an. Irgendwann antworten sie dann netter weise auch für mich.
Hab ich schon erwähnt, dass wir unmittelbar im Anschluss einen Strandurlaub geplant hatten?
Weil mich mein Husten eh die Nacht über nicht schlafen lässt, versuche ich verzweifelt einen einen Ersatz für mich zu finden: "Hey, Morgen schon was vor? Drei Tage Sandstrand, Hotel schon komplett bezahlt..."
Eine Koreanerin erbarmt sich dann für umsonst hinzufahren - immer noch besser als das Geld ganz zum Fenster raus zu schmeißen.

Am nächsten Morgen sehen meine Weggefährten dann aber gar nicht nach Sommerlaune aus.
> Was ist los?
> Strandurlaub ist abgeblasen, wegen dem Taifun.
> Taifun?
> Hat die ganze Nacht gestürmt - am Strand unten haben sie heute noch Sturmwarnung. Hast du denn gar nichts mitbekommen?
> Nein, ich habe gehustet...





September:
Meine Theorie ist ja das Dystopien  (in Romanen und Filmen) kontraproduktiv sind:
egal wie übel man die Welt darstellt, allein dadurch dass man es darstellt, wird es den Leuten gefallen.
Zumindest geht es mir so mit Post-apokalyptischen Wüsten, Zombie-Katastrophen und ... ja, Moloch-Megacitys!

In der Übergangszeit zwischen Sprachkurs und Studium muss ich mir eine eigene Wohnung suchen.
Könnte überall hin ziehen.
Also ziehe ich nach Downtown Osaka.

Hahahahahaha, ich wohne in Downtown Osaka, in einer Hintergasse zwischen Hochhausschluchten (im 5 Stock ohne Lift).
Und weil es keine Fitness-Bude in der Nähe gibt gehe ich jeden Tag joggen.
Wenn ich an einem Park oder Spielplatz vorbei komme, mache ich ein paar Klimmzüge, Liegestütze, übe ein paar Schlag- und Tritt-Kombinationen.
Weil das 80er Jahre Cop-Movie-Feeling (a la Black Rain) noch nicht genug reinballert höre dazu Billy Idol.

Hahahahaha, ich wohne in Downtown Osaka, gehe Nachts zu Fuß in Clubs und Kneipen. Letzter Zug? Da trinken wir noch einen! Glücklich wanke ich durch die Lichter der Nacht nach Hause, beobachte ich eine Schlägerei - naja, eher ein Pärchen-Streit mit Handgreiflichkeiten ihrerseits - und gehe dazwischen bis die Polizei kommt. Dann verschwinde ich schnell und gehe lieber noch Einen trinken.

Hahahahahaha, ich wohne in Downtown Osaka und lebe aus dem 100Yen Markt um die Ecke.
Es gibt Reis und Tofu und manchmal extrascharfe Instant-Nudeln.
Die Schulkinder auf dem Sportplatz nebenan erinnern mich mit ihrem Geschrei daran, wenigstens Hosen anzuziehen, bevor ich auf dem Balkon meine Wäsche aufhänge. Im Zimmer werden die gleich wieder ausgezogen, weil: ist Schweine-heiß!
Nachts sehe ich in der Ferne einen Berg mit Lichtern darauf: da hinten ist meine Uni, irgendwo auf der anderen Seite dieser ewig weit entfernten grün-grauen Wand.

Hahahahahahahaha!
Ich ziehe an den neuen Campus.
Das Nachtleben besteht aus Reisfeldern.
Ha-hh... scheiße....




Oktober:
Sie wollen von mir ein 3D-Modell für ein anderes Projekt. Ich sage: ich brauche in Graphic-Tablet um Texturen malen zu können. So ein kleines, sage ich, muss nix tolles sein.
Sie kaufen mir das teuerste Ding am Markt - einen von diesen Monitoren auf denen man tatsächlich direkt malen kann. Nach einer Woche bin ich fertig mit der Arbeit. Jetzt habe ich den teuersten Monitor im Labor, um darauf C++ Code zu lesen.

Meine Uni gehört zu den fortschrittlichsten und bestausgestattetsten in ganz Japan - Geld ist also nicht zu knapp vorhanden.
Der Professor besteht sogar darauf, dass die Studenten nichts selber kaufen was sie für ihre Forschung brauchen.
Ich brauche in Head-Mounted-Display (HMD, sowas wo man zwei Kameras vor den Augen hat und auf der Innenseite das bearbeitete Bild sehen kann).
Ich soll aus Einzelteilen selber eines Zusammen bauen, also brauche ich Kameras.
Der Professor fragt mich, welche ich für angemessen halte.
> "Ich habe die Firma angeschrieben, weil der Preis dieser Kameras nicht auf der Webseite stand"
> "Der Preis ist für Sie nicht wichtig. Sie müssen nur schauen, dass die Kameras geeignet für ihr Projekt sind."
> "Ähh, ja, doch die wären schon toll..."
Sie werden gekauft.
Wie die Antwort des Verkäufers verrät, kosten sie in Japan..... oh Gott, bitte nicht fallen lassen!
Ich baue das Ding zusammen mit Teilen, die ich in einem 3D-Drucker drucke - der druckt mit Mehl und Wachs Bauteile die ungefähr so stabil sind wie Knäckebrot.
Bitte, bitte, bitte nicht abbrechen...
Es funktioniert - man bekommt ein schönes Bild. Nur etwas schwer ist das Ding.

Eines Tages steht dann der Professor vor mir:
> "Sie haben gesagt das HMD dass sie gebaut haben ist etwas schwer und unbequem, also haben wir ihnen dieses gekauft."
Er drückt mir ein neues HMD in die Hand.
Ich schau gar nicht erst nach was das gekostet hat...


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