Montag, 17. Juni 2013

Dabei sein ist schon alles

Zwei Völker haben die Ruf, besonders fleißig zu sein (ohne dazu gezwungen zu werden): Deutsche und Japaner.
Ob da was dran ist? Viele Deutsche haben erst gar nicht das Gefühl besonders fleißig zu sein... bis man sie mit anderen Ländern vergleicht. Die Wahrnehmung ist also: "wir sind nicht fleißig, alle anderen sind nur faul!".

Außer die Japaner. Die sind berühmt dafür auch noch die unmenschlichsten Arbeitszeiten mit einem Lächeln zu ertragen. Bis sie umfallen.
Karōshi - Tod durch Überarbeitung - ist als offizielle Todesursache anerkannt (und das beinhaltet noch nicht einmal die beeindruckende Suizidrate).

Eine Freundin kam mit einem blauen Auge davon. Also wortlich: sie hat auf ihrer neuen Arbeitsstelle so lange und hart gearbeitet, bis sie umfiel und sich dabei ein blaues Auge holte. Diagnose: Gogatsu-Byō - Mai-Krankheit. Das ist wenn Leute am ersten April eine neue Arbeit anfangen (weil: Beginn des Fiskaljahres) und dann schon im Mai nicht mehr können, ausgelaugt und übermüdet zum Arzt müssen.
Gottseidank gibt's hier keine Probezeit - man muss also nicht fürchten gleich nach einem Monat schon wieder fristlos gekündigt zu werden. 




Berühmt auch die japanischen Angestellten, die nach allen Überstunden noch mit dem Chef trinken gehen müssen ("Nomikai") und ihre eigenen Kinder so gut wie nie sehen. Das betrifft nicht nur die berüchtigt unbarmherzige Welt der Mega-Konzerne: auch unsere Hilfs-Professoren sind selbst Samstag und Sonntag bis spät Nachts im Labor - unabhängig von der aktuellen Arbeitslage.
Andererseits machen viele Japaner auch nicht den Eindruck, als ob sie gerne mehr Zeit zuhause verbringen wollen. So überreden sich Studenten und Hilfs-Professoren gegenseitig zum Nomikai...

Und auch die Studenten (natürlich nur die Japaner, nicht die Internationals) fühlen sich unter Druck gesetzt: "Nicht heimgehen wärend der Prof noch da ist"! Nicht das man irgendwas machen würde- es ist ihnen einfach nur peinlich zu gehen.
Manche schafen gar im Labor - was gelegentlich aber auch praktische Gründe hat: im Sommer ist's im Wohnheim brütend heiß, im Winter schweinekalt, im Labor immer 25 Grad.
Bio-Studenten müssen eh immer da sein, weil sie ihre Experimente (lies: Pflanzen, Bakterien, sonstige Lebewesen) nicht einfach anhalten können wenn sie Heim wollen. Also werden im Labor Serien und Filme geschaut - eine andere Freundin hat so "der Pate" durch bekommen - alle drei Teile an ein einem Tag, immer mal wieder ein Stündchen zwischen den Experimenten.
Bei der Gelegenheit: Dank an die Computer-Pioniere, dass sie einen "Aus" Knopf an den Dingern angebracht haben!




Woher kommt dieser bedingungslose Anwesenheits-Gehorsamkeit?
Ganz natürlich und freiwillig ist sie nicht - zumindest nicht von Anfang an.
Schon in der Schule ist die Mitgleidscahft in einem der Zahlreichen freiwilligen Clubs oder "Circles" quasi verpflichtend - wer will schon nicht-dazugehören.
Und an der Uni wird dann knallhart mit Anwesenheitspflicht nachgelegt: beim betreten der Vorlesungssaales bekommen wir Zettel verteilt, schreiben Name, Matrikelnnummer und Labor-Zugehörigkeit darauf und können sie am Ende der Vorlesung wieder abgeben. Ein Professor der besonders auf Mitarbeit aus ist, vergibt ähnliche Zettel tatsächlich nur an Studenten die eine Frage stellen. Wer keine Fragen stellt besteht also den Kurs nicht weil er nicht anwesend genug war (sic!).
Ich habe nicht unbedingt ein Problem damit, anwesend zu sein und dumme Fragen zu stellen, doch manche Kurse sind zu lächerlich als ich das unkommentiert lassen könnte:

Seminar1:
Gastredner kommen an die Uni und halten Vorträge über Dinge von denen ich keine Ahnung habe. Auf Japanisch. Manchmal sind die Bilder hübsch.

Seminar2:
Studenten halten Vorträge über ihre Forschungsgebiete, von denen ich - wenn sie nicht aus meinem Labor sind - keine Ahnung habe. Auf Japanisch versteht sich. Manchmal ist die Studentin hübsch.
Muahahahaha, verarscht! Hätt' ich wohl gern, studiere aber leider Informatik!

Study Meeting:
Studenten aus unserem Labor werden in Gruppen eingeteilt und bekommen ein Buch über Computer Vision in die Hand gedrückt. Jede Gruppe muss ein Kapitel lernen und dann einen Vortrag für die anderen Gruppen halten. Also ist die eine Hälfte der Vorträge auf Englisch, die andere Japanisch, und man lernt die Grundlagen die man für's eigene Kapitel bräuchte nicht rechtzeitig oder nur von einem Studenten, die sie selbst gerade erst soso-lala überrissen hat.
Manchmal sind die Bilder hübsch, die ich aus Frustration und Langeweile in meine Unterlagen kritzel.



Ein Muster zeichnet sich ab - sie erraten es schon - man erzieht die Leute nur zur physischen Anwesenheit - nicht aber zum aufpassen oder arbeiten. Das führt dazu das Anwesenheit für die Leute einen intrinsischen Wert besitzt.
Als ich selbst an der Uni einen Nachmittags-Kurs hielt, hab ich mich doch sehr gewundert, schlafende Studenten darin zu finden. Es gab keine Anwesenheitspflicht, keine Prüfung, kein Zertifikat.
Es war nichtmal ein offiziell eingetragener Kurs - nur eine "kommt-vorbei-und-ich-erzähl-euch-was" Präsentation. Der Professor war auch nicht da um irgendwen zu überprüfen.
Trotzdem waren sie da....
Warum nicht lieber dort, wo man Zettel auffüllen oder den Professor beeindrucken kann?
War meine Stimme so angenehm, dass ich insgeheim als Anästhetikum für gestresste, schlaflose Studenten gehandelt würde...?

He! Aufwachen! Blog ist vorbei! Zurück an die Arbeit!

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