Sonntag, 15. April 2012

Un.Heimlich.Gefährlich.

Als ich zur Bundeswehr ging (jaa, Opi erzählt von der guten alten Zeit), habe ich erwartet von bärbeißigen Unteroffizieren angeschrien, herum-geschubst, durch den Dreck gezogen und durchs Unterholz gejagt zu werden. Doch tatsächlich fand ich mich einer kaum 1,60m großen, blonden zierlichen Unteroffizierin gegenüber, die mich fragte "darf ich Sie anfassen" bevor sie meinen Rucksack nachjustierte. Und mich DANN anschrie, herum-schubste, durch den Dreck zog und durchs Unterholz jagte.

Was lernen wir daraus? Nichts: wir sind Bildungs-Resistent (Danke G9!).

Und so fahren wir Jahre später nach Japan, dem Land der Samurai- und Kamikaze-Kultur und erwarten Todes-verachtende Menschen, der Gefahr ins Angesicht blickend, wohlwissend das jeder Augenblick zwischen Yakuza, Schwertkampf, Erdbeben und Überarbeitung der Letzte sein kann.
Und Wundern uns dann, von Rolltreppen gewarnt zu werden vor - nun - eben der Gefahr von Rolltreppen. Die uns dann vor einem Zeitungs-Stand abliefert der von Yakuza-Schwert-Morden und überarbeiteten Todes-Erdbeben (des TODES!) zu berichten weiß.

Mittlerweile lernfähig geworden (Danke Hochschulsystem) stellen wir also fest: das Vorurteil liegt meist gar nicht so falsch, nur eben etwas daneben.

Tatsächlich sind die Japaner regelrechte Sicherheits-Fanatiker:
Beim Nippon Kempo Probetraining wird mir erst einen zentnerschwere Schutzausrüstung angelegt und dann lang und breit erklärt, dass das immer noch nicht ganz sicher ist: ja, manchmal tut man sich tatsächlich weh beim Gegenseitigen Auf-die-Goschn-Hauen.
Studienkollegen weigern sich Nachts eine kleine, unbefahrene Straße vom Kampus zur nächsten Tankstelle zu gehen: die ist nicht beleuchtet und es könnte ja ein Auto kommen (in 10 Jahren wieder). Rechts und links der Straße sind übrigens Reisfelder - falls man schnell mal zur Seite springen möchte ist also gut 50 Meter Platz dafür.
Maggi-Fix-Kochmischungen mahnen zu Vorsicht beim hinzugeben von Öl. (Warum sagen sie nicht: die Überraschung Öl in eine zu heiße Pfanne zu kippen wollen sie dann doch nicht kaputt machen.)
Und überall im Alltag trifft man auf die geheiligten drei Worte: 注意(chūi:Vorsicht),危険(kiken:Gefahr) und 禁止(kinshi:Verboten) - oft in Kombination, und gern auch an Orten an denen ich mir ums verrecken nicht vorstellen kann, wie man sich da weh tun kann. Zum Beispiel warnen U-Bahn Türen nicht davor, in der sich schließenden Tür stecken zu bleiben, sondern davor in der sich öffnenden Tür stecken zu bleiben: also zwischen Tür und Zug zu geraten (dafür hat man grob einen Zentimeter Platz; Vorschläge bitte).

Aber hier liegt der Entscheidende Punkt: Japanische Sicherheit ist jedem selbst überlassen. Sie wurden Gewarnt. Oft genug. Nach dem Motto: Gefahr erkannt, Gefahr einfach liegen gelassen.

Auch an vielbefahrenen Straßen sind die Fußwege nicht durchgehend ausgebaut, markiert oder überhaupt vorhanden. Passiert schonmal, dass man ohne es zu bemerken plötzlich auf der Straße steht. Ich habe es sogar schon geschafft, zu Fuß auf die Autobahn zu geraten. Der Gehsteig war erst da und dann weniger da und dann mehr weg als da. Einzelfall? Ein Freund hat dasselbe mit dem Fahrrad geschafft - aber er hat's durchgezogen und ist bis zur nächsten Ausfahrt geradelt.
Dafür gibt es an fast allen Straßen offene Gossen/Rinnsteine, grob 30cm breit und 40cm tief. Hab ich schon erwähnt, dass man hier mit dem Fahrrad für gewöhnlich auf dem Gesteig fährt? Also zwischen Fußgängern und Gosse oft noch einen halben Meter Platz hat.
Auf meinem Weg zum Campus gibt es die meiste Zeit keine solchen Gossen: da gibt es direkt neben dem Gehsteig einen offenen Kanal, an manchen Stellen gut zwei Meter tief, der bei gutem Wetter 2cm, bei Regen schöne 40cm Wasser Marke "Sturzbach" führt.
Das Ding ist aus Zement - komplett - mit ein paar Steinen im Zement-Fundament, weil: hey, das ist doch jetzt auch schon Wurscht!
Der Kanal ist vom Gehsteig durch einen Grünstreifen getrennt, der Grünstreifen ist eine 1Meter breite, steile Böschung. Quizfrage: in welche Richtung die die Böschung abschüssig? Die Antwort sehen sie, wenn sie bei Regen versuchen auf dem Fahrrad Fußgängern auf dem Gehsteig auszuweichen.


Die Kinderspielplätze haben hier übrigens auch Kletterparks, für die man in Deutschland noch als Erwachsener eine Einverständniserklärung unterschreiben müsste.
Und wo wir in Deutschland die 3 Meter hohen Bau-Zäune (Marke: Bauherr haftet für alle Deppen) zu Festungen zusammenstellen reicht hier - wenn Verkehrshütchen nicht mehr reichen - ein paar 1.7m Aufsteller aus - müssen auch nicht immer einen geschlossen Zaun bilden.
Auf den Aufstellern steht dafür dann auch in großen, freundlichen Schriftzeichen: 安全第一 an zen dai ichi: Safety first!

Das ist, glaube ich, als Aufforderung zu verstehen.

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