Sonntag, 15. Mai 2016

Sinojapanisch

Es hat mich einige Jahre gebraucht, aber irgendwann habe ich dann verstanden warum Japanisch so schwer ist.
Der Grund ist: Japaner versuchen ständig Chinesisch zu sprechen... können es aber nicht.

Die Geschichte ist das ganz schnell erklärt: früher früher früher, da hatten die Japaner schon ihre eigene Sprache, aber Schrift war noch nicht so - und die Kultur überhaupt, da gabs' noch Nachbesserungsbedarf.
Also haben sie gemacht, was jeder fleißige Student macht, und beim Nachbarn abgeschrieben. Und China war damals gerade der Klassenprimus. Aber Chinas Pult war etwas weiter weg, also hat man viel von Korea abgeschrieben, der näher saß und seinerseits von China abgeschrieben hat.
Über diesen Umweg haben viele chinesische Worte ihren Weg ins Japanische gefunden, und zwar falsch. Falsch ausgesprochen vor allem, weil, also wenn der Deutsche "Pommes Frittes" sagt, spricht er das "-es" am Ende ja auch mit aus. (Ja, gut, Sie nicht, sie haben Abitur. Aber wenn sie mit ihren Pomm Fritt fertig sind gehen Sie auch auf die Toilette, die mit "-e" am Ende, ne?). Und weil die Chinesen zwischen sehr vielen Lauten und Betonungen unterscheiden, die Japaner alle nicht haben, klingt im Japanischen alles gleich... falsch.



Okay, also haben die Japaner sich ein Alphabet eingebrockt, dass nicht auf ihre Sprache passt. Das ist uns auch passiert, weshalb wir in Europa alle angefangen haben lustige Punkte und Striche über lateinische Buchstaben zu pappen. Die Japaner haben auch irgendwann ihr eigenes Schriftsystem entwickelt, aber erst sehr viel später. Bis dahin haben sie einfach angefangen, chinesisch zu schreiben und stur zu behaupten da stünde etwas Japanisches. Mein Lieblingsbeispiel ist 今日, was "Heute" heißen soll. Japaner lesen: "kyo". Sie merken: das ist nur ein Laut, aber zwei Schriftzeichen.
Also anders gesagt: Sie schreiben "Manufaktur", sprechen es aber "Handarbeit" aus. Auch wenn das offensichtlich nicht da steht. Aber man hatte einfach früher keine anderen Schriftzeichen um "Handarbeit" schreiben zu können, also hat man sich auf diese Schreibweise geeinigt.

Die Angewohnheit, ein anderes Wort zu schreiben als man liest, hat einen lustigen Nebeneffekt: Autoren (vor allem von Comics) schreiben gerne getrennt nebeneinander was ein Charakter sagt, und was er meint. Zum Beispiel den Namen einer Figur (die gemeint ist) und eine Beleidigung (was der Sprecher wirklich gesagt hat). So kann man sich mehr Freiheit mit dem Dialog nehmen, ohne das der Leser verwirrt ist was gemeint war. Das sollte ich in meinem Blog auch mal einführen - lesen Sie statt "Blog" einfach immer "Nörgel-Brett".

Da wo der Pfeil hinzeigt, denkt die Figur an einen "Soulmate". Weil das Wort Japanern aber nicht geläufig sein dürfte, wurde es mit "Seelen-Freund" unterlegt.


Wenn man also verstehen will warum die Japaner schreiben was sie schreiben, muss man Chinesen fragen.

Manchmal machen die Schriftzeichen nämlich total Sinn. Etwa 吠, "bellen" (wie ein Hund).
Der linke Teil davon ist nämlich einfach 口, "Mund", der rechte ist 犬, "Hund". Der "Hund-Mund" also, die Mundart der Hunde. Super einleuchtend.
Probieren wir das gleich nochmal: 鮮, "frisch". Der linke Teil ist 魚, "Fisch", der rechte Teil 羊, ist "Schaf". Das "Fisch-Schaf" also. Also Moment mal, den frischen Fisch lasse ich mir ja noch eingehen, aber was ist an Schafen den frisch? Japaner können mir das nicht beantworten. Sie fangen nur an zu lachen, wenn ich frage: "hey, ist mir ja noch nie aufgefallen". Du hast dein Leben lang "Fisch-Schaf" geschrieben wenn es um Frische ging und das ist dir nie aufgefallen? Ich frage also einen Chinesischen Kommilitonen. "Suppe", erklärt der mir. Wie meinen? "Suppe. Fischsuppe schmeckt total frisch und Schafsuppe schmeckt auch total frisch." Also kombinierten sie die beiden Gerichte mit dem frischesten Geschmack, und das Wort wurde dann später für alles andere Entwendet, unter anderem Bier, wo ich das Zeichen dann zum ersten mal gesehen habe (und froh war, dass das Bier weder nach Fisch noch nach Schaf geschmeckt hat).

Eine andere chinesische Freundin erzählt mir ihr Lieblingswort ist das allgegenwärtige 大丈夫, was so viel heißt wie "in Ordnung", "kein Problem", oder "passt scho". Gauben zumindest die Japaner. Die Chinesen lesen da "dicker fetter Ehemann". Naja, wenn der Ehemann stattlich gebaut ist, wird im Haus wohl auch alles in Ordnung sein.

Mein persönlicher Favorit ist aber das 手紙 "Hand Papier". Japaner nennen so ihre Briefe. Chinesen nennen so ihr Klopapier. Der Unterschied ist oft inhaltlicher Natur.

Jedenfalls sind Chinesen jetzt meine ersten Ansprechpartner wenn ich Fragen zu meinem Japanisch habe. Besonders seit ich gehört habe, dass eine chinesische Bekannte den berüchtigten JLPT1 Sprachtest bestanden hat - ohne überhaupt Japanisch sprechen zu können. Sie konnte einfach anhand der Schriftzeichen die richtigen Antworten erraten.

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