Montag, 30. Mai 2016

Zeitmacher

Und... los!
Der Tag hat 24 Stunden.
Das ist Gottes Gerechtigkeit: keiner kriegt mehr, keiner weniger, und keiner kriegt zurück was er mal verbraucht hat.
Man kann also unmöglich mehr machen als man ohnehin schon macht. Man kann nur andere Sachen machen... oder Sachen anders machen.
23 Stunden 59 Minuten...



Freizeit wird immer als erstes weggeschnitten.
Meine Schwäche sind alte Computer-Games. Die, die ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gespielt habe oder damals immer spielen wollte aber nicht konnte, weil der 80386er 2MB zu wenig Speicher hatte oder so. Bei neuen Spielen kann ich mir einreden, daß die bestimmt blöd sind. Bei den Klassikern weiß ich was ich verpasse. Dummerweise gibt es eine Website, bei der sie genau solche Goldies wieder zum laufen bringen und dann recht günstig verkaufen. Ich habe aber keine Zeit zum zocken! Dann gehen die aber mit dem Preis nochmal etwas runter... für begrenzte Zeit: ein Sonderangebot. Naja, irgendwann werde ich wohl mal wieder Zeit haben. Da könnte ich ja auf Vorrat kaufen...
Ich hadere ein paar Tage mit der Entscheidung während das Sonderangebot langsam abläuft. Auf den letzten Drücker entscheide ich: doch! Muss sein! Ich logge mich ein .... und der "Kaufen" Button wird grau...
Ich erinnere mich dunkel, dass die dasselbe Sonderangebot schonmal letztes Jahr hatten. Damals hatte ich mir wohl gedacht: scheiß drauf! Irgendwann werde ich wieder Zeit zum zocken haben! Gekauft!... Ich hatte das Spiel dann für ein Jahr lang nichtmal herunter geladen.
Die Freude über das "gesparte Geld" mischt sich mit der dunklen Vorahnung mich hier nächstes Jahr wieder zu treffen. "Irgenwann bleibt Zeit das Ding zu zocken! Ganz bestimmt... bitte, bitte, bitte!"


Pausen kann man super optimieren. Normalerweise macht man in Pausen mehr oder weniger dasselbe das man auch während der Arbeit macht: Monitore anstarren, vielleicht mal mit Leuten reden. Kein Wunder, dass man danach nicht erholt ist.
Da gibt es eine bessere alternative:
Meditation.
Das reinigt den Geist, wie ein Comuter-Neustart. Danach geht wieder was!

Das geht so: man hockt sich hin, stellt sich einen Wecker für 10 Minuten, macht die Augen zu und denkt an... nichts...
...
das geht 10 Sekunden lang gut, dann denkt man wieder an etwas, bevorzugterweise an Arbeit.  Mist. Ruhig bleiben! Wieder zur Besinnung kommen. Auf den eigenen Atem konzentrieren. Hahhhh...
Ich schaue mir selbst beim Atmen zu, ohne bewußt zu atmen.
Es ist schwierig loszulassen und den Körper selbst atmen zu lassen.
...hahh....
Mir wird klar, dass da jemand mit mir in meinem Kopf ist... der atmet für mich, aber das bin nicht ich... der macht allerhand Zeug ohne dass ich es mitkriege. Er sagt aber nichts... komischer Kerl. Verdammt, ich denke ja schon wieder!
...hahh...
Ich schiele auf den Wecker. 10 Minuten sind so verdammt lang wenn sich sie mit mir selbst verbringen muss-- uuuund, schon wieder gedacht!
...hahh...
Mir wird klar, dass wir nicht alleine in meinem Kopf sind. Jemand ist da, der die ganze Zeit redet (also: Worte denkt), aber das bin nicht ich... Der denkt den ganzen Tag allerhand wirres Zeug ohne dass ich ihn stoppen könnte... ich beobachte den Stummen beim atmen und den Redner beim Quasseln... und dann frage ich mich wer die beiden beobachtet...
PIEP PIEP PIEP!
Gottseidank! Zurück an die Arbeit.



Es geht ans Eingemachte.
Zeit zum schlafen bleibt nicht mehr. Ein Freund weiß Rat: "Polyphasischer Schlaf". Man schläft nur noch drei Stunden pro Nacht, macht dafür ein paar Nickerchen am Tag, bleibt insgesamt bei 4 Stunden Schlaf, hat also 2-3 Stunden extra. Klingt super! Probiere ich aus.
Es dauert ein bisschen bis man sich daran gewöhnt.
Die Leute gucken verwundert, dass ich jetzt immer Nachts rein komme, und trotzdem morgens der erste im Labor bin. Fragen tun sie mich nicht. In einer Welt in der "Montag bis Freitag, 8:00-18:00" als apokalyptische Dystopie für "die Zeit nach dem Studium" gehalten wird, war ich schon als Einäugiger König.
Um die Nickerchen möglichst effizient zu gestalten, stecke ich mir Kopfhörer rein und lasse Selbsthypnose mp3s laufen. Ich bezweifle, dass das irgendwas bringt, weil ich sofort im Tiefschlaf bin. Aber der arme Hypnotherapeut müht sich trotzdem ab meinem schlafenden Leib einzureden, dass er voller Energie und Selbstvertrauen sein soll!
Nach ner Zeit funktioniert das eigentlich ganz gut. Ich bin konzentriert bei der Arbeit, nicht mehr gereizt als ohnehin schon, und sogar beim Sport kann ich keinen Leistungsverlust feststellen.
Dann kommt das Wochenende und mit fällt ein schwerer Fehler im Konzept auf: Soziales ist total unvereinbar mit der Verpflichtung, Nickerchen zu machen. Selbst wenn ich meinen Freunden klar machen könnte, dass ich jetzt mal schnell ne halbe Stunde schlafen muss, wo soll ich denn in Downtown Osaka so schnell eine ruhige Ecke finden? Also fällt das ganze wieder in sich zusammen, ich schlafe wieder 6 Stunden wenn ich Heim komme, bin das Wochenende über wieder müde und unkonzentriert, und muss am Sonntag wieder von vorn anfangen. Bis Mittwoch bin ich wieder drin. Donnerstag hätte ich wärend dem Kung-Fu Unterricht schlafen müssen. Freitag ist wieder aller beim Teufel.
Ich rechne mir aus, dass die Zeitersparnis nicht reicht um die Umstellungsphasen zu rechtfertigen und gebe auf.
Egal. Irgendwann fällt mir schon wieder was ein, wie ich mehr Zeit machen kann...

Sonntag, 15. Mai 2016

Sinojapanisch

Es hat mich einige Jahre gebraucht, aber irgendwann habe ich dann verstanden warum Japanisch so schwer ist.
Der Grund ist: Japaner versuchen ständig Chinesisch zu sprechen... können es aber nicht.

Die Geschichte ist das ganz schnell erklärt: früher früher früher, da hatten die Japaner schon ihre eigene Sprache, aber Schrift war noch nicht so - und die Kultur überhaupt, da gabs' noch Nachbesserungsbedarf.
Also haben sie gemacht, was jeder fleißige Student macht, und beim Nachbarn abgeschrieben. Und China war damals gerade der Klassenprimus. Aber Chinas Pult war etwas weiter weg, also hat man viel von Korea abgeschrieben, der näher saß und seinerseits von China abgeschrieben hat.
Über diesen Umweg haben viele chinesische Worte ihren Weg ins Japanische gefunden, und zwar falsch. Falsch ausgesprochen vor allem, weil, also wenn der Deutsche "Pommes Frittes" sagt, spricht er das "-es" am Ende ja auch mit aus. (Ja, gut, Sie nicht, sie haben Abitur. Aber wenn sie mit ihren Pomm Fritt fertig sind gehen Sie auch auf die Toilette, die mit "-e" am Ende, ne?). Und weil die Chinesen zwischen sehr vielen Lauten und Betonungen unterscheiden, die Japaner alle nicht haben, klingt im Japanischen alles gleich... falsch.



Okay, also haben die Japaner sich ein Alphabet eingebrockt, dass nicht auf ihre Sprache passt. Das ist uns auch passiert, weshalb wir in Europa alle angefangen haben lustige Punkte und Striche über lateinische Buchstaben zu pappen. Die Japaner haben auch irgendwann ihr eigenes Schriftsystem entwickelt, aber erst sehr viel später. Bis dahin haben sie einfach angefangen, chinesisch zu schreiben und stur zu behaupten da stünde etwas Japanisches. Mein Lieblingsbeispiel ist 今日, was "Heute" heißen soll. Japaner lesen: "kyo". Sie merken: das ist nur ein Laut, aber zwei Schriftzeichen.
Also anders gesagt: Sie schreiben "Manufaktur", sprechen es aber "Handarbeit" aus. Auch wenn das offensichtlich nicht da steht. Aber man hatte einfach früher keine anderen Schriftzeichen um "Handarbeit" schreiben zu können, also hat man sich auf diese Schreibweise geeinigt.

Die Angewohnheit, ein anderes Wort zu schreiben als man liest, hat einen lustigen Nebeneffekt: Autoren (vor allem von Comics) schreiben gerne getrennt nebeneinander was ein Charakter sagt, und was er meint. Zum Beispiel den Namen einer Figur (die gemeint ist) und eine Beleidigung (was der Sprecher wirklich gesagt hat). So kann man sich mehr Freiheit mit dem Dialog nehmen, ohne das der Leser verwirrt ist was gemeint war. Das sollte ich in meinem Blog auch mal einführen - lesen Sie statt "Blog" einfach immer "Nörgel-Brett".

Da wo der Pfeil hinzeigt, denkt die Figur an einen "Soulmate". Weil das Wort Japanern aber nicht geläufig sein dürfte, wurde es mit "Seelen-Freund" unterlegt.


Wenn man also verstehen will warum die Japaner schreiben was sie schreiben, muss man Chinesen fragen.

Manchmal machen die Schriftzeichen nämlich total Sinn. Etwa 吠, "bellen" (wie ein Hund).
Der linke Teil davon ist nämlich einfach 口, "Mund", der rechte ist 犬, "Hund". Der "Hund-Mund" also, die Mundart der Hunde. Super einleuchtend.
Probieren wir das gleich nochmal: 鮮, "frisch". Der linke Teil ist 魚, "Fisch", der rechte Teil 羊, ist "Schaf". Das "Fisch-Schaf" also. Also Moment mal, den frischen Fisch lasse ich mir ja noch eingehen, aber was ist an Schafen den frisch? Japaner können mir das nicht beantworten. Sie fangen nur an zu lachen, wenn ich frage: "hey, ist mir ja noch nie aufgefallen". Du hast dein Leben lang "Fisch-Schaf" geschrieben wenn es um Frische ging und das ist dir nie aufgefallen? Ich frage also einen Chinesischen Kommilitonen. "Suppe", erklärt der mir. Wie meinen? "Suppe. Fischsuppe schmeckt total frisch und Schafsuppe schmeckt auch total frisch." Also kombinierten sie die beiden Gerichte mit dem frischesten Geschmack, und das Wort wurde dann später für alles andere Entwendet, unter anderem Bier, wo ich das Zeichen dann zum ersten mal gesehen habe (und froh war, dass das Bier weder nach Fisch noch nach Schaf geschmeckt hat).

Eine andere chinesische Freundin erzählt mir ihr Lieblingswort ist das allgegenwärtige 大丈夫, was so viel heißt wie "in Ordnung", "kein Problem", oder "passt scho". Gauben zumindest die Japaner. Die Chinesen lesen da "dicker fetter Ehemann". Naja, wenn der Ehemann stattlich gebaut ist, wird im Haus wohl auch alles in Ordnung sein.

Mein persönlicher Favorit ist aber das 手紙 "Hand Papier". Japaner nennen so ihre Briefe. Chinesen nennen so ihr Klopapier. Der Unterschied ist oft inhaltlicher Natur.

Jedenfalls sind Chinesen jetzt meine ersten Ansprechpartner wenn ich Fragen zu meinem Japanisch habe. Besonders seit ich gehört habe, dass eine chinesische Bekannte den berüchtigten JLPT1 Sprachtest bestanden hat - ohne überhaupt Japanisch sprechen zu können. Sie konnte einfach anhand der Schriftzeichen die richtigen Antworten erraten.