Freitag, 19. Februar 2016

Meister Wald

"TIEN! Tiefer!"
Shifu.
Das ist nicht sein Name. Aber so nennen ihn hier alle. Shifu.
"Das ist Fundament! Sinken."
Im Japanischen heißt der Meister (oder Lehrer) Sensei. Aber er Unterrichtet Kung-Fu. Das kommt aus China. Wenn Japaner versuchen das Chinesische Wort für "Meister" zu lesen, lesen sie "Shifu".
"Das ist nicht Sumo! Füße gerade! Und tief! Shizumu!"
Er selbst ist Japaner, hat aber lange Zeit in New York gelebt. Außerdem lernt er jetzt Chinesisch. Deswegen muss ich mir jetzt auf drei Sprachen anhören was mit meiner Form alles nicht stimmt.
"Mabuu! Dann Katzen-Fußstellung! Tiefer!"
Meine Oberschenkel brennen wie Feuer. Wenn man lange genug mit tief gebeugten Knien dasteht, hat man irgendwann eh nicht mehr die Kraft aufzustehen. Dann geht es nur noch tiefer.
Noch 3cm. Noch 2... dann knicke ich ein und falle zu Boden.
Er lacht fröhlich.
"Das ist Basics! Muss sein wie Eisen" (er klopft auf seine Schenkel) "und Bambus" (er verbiegt seinen Oberkörper). "Dann, du kannst kontrollieren deinen Körper, kontrollieren deinen Gegner".
Jetzt lebt er wieder in Japan und gibt Kung-Fu Unterricht für Kinder und ältere Damen... und mich.
Sein Name ist... "Wald". Herr Wald. Aber wir nennen ihn Shifu.

Shifu mit Schüler, der gerade einen Preis gewonnen hat.

Als er jung war ging Shifu nach New York. Um Design zu studieren. Aber wohl auch weil er einfach gerne nach Amerika wollte. Er sprach kein Wort Englisch.
Das machte diese Zeit sehr hart für ihn, aber irgendwie half ihm immer jemand aus der Patsche wenn es brenzlig wurde.
Das ist der Grund warum Austausch-Studenten jetzt gratis bei ihm trainieren dürfen. Als Wiedergutmachung sozusagen. Der eine, offizielle Grund. Der andere ist, dass Ausländer in seiner Stunde das ganze attraktiver für Japaner machen. Viele japanische Eltern finden, dass ihre Kinder möglichst früh an andere Kulturen und die Englische Sprache gewöhnt werden sollen. Shifu ist nicht auf den Kopf gefallen. (Meine Kommilitonen schon, sonst wäre ich nicht der einzige, der zum Gratis-Kung-Fu geht.)


Als Shifu sich gerade schön im Big Apple eingelebt hat, kommen zwei Flugzeuge und beißen eine blutende Wunde ins Fruchtfleisch. 9/11.
"Natürlich, du weißt, Menschen sterben. Aber du denkst das nicht."
Ein anderer Tag, eine anderer Uhrzeit, und Shifu wäre da unter den Trümmern gelegen.
Stattdessen liegen da tausende Andere.
Jetzt muss er sich fragen was er mit seinem Leben eigentlich anfangen will.
Und er fängt eine Firma an.


"Wenn Löwe jagt Hase, Hase wird nicht müde! Warum?"
Ich kenne die Antwort schon, aber meine Beine tun zu sehr weh als dass ich Lust hätte zu antworten. Also keuche ich nur ein bisschen und lasse die Weisheit nochmal über mich ergehen.
"Weil, wenn Hase wird müde.... wird gefressen!"
Er zählt die Geschichte nochmal auf Japanisch den Kindern und lacht beim "gefressen werden" Teil. Die Kinder lachen auch.
Das ist die Mentalität.

In New York leitet Shifu seine Design Firma und trainiert Kung-Fu.
Er stellt Leute ein, einer von welchen mit seinem Geld durchbrennt. "Auch das, du hast eine Erfahrung.", sagt er ohne bedauern.
Er freundet sich mit einem anderen Japaner seines Alters an der zur selben Kung-Fu Schule geht. Die beiden trainieren im Central Park, auf einer kleinen Brücke die besonders gute Energie verspricht. (Jahre später habe ich mal die Gelegenheit auf derselben Brücke zu trainieren und kann sagen: ja, wirklich ausgezeichnete Energie.) Die Freundschaft, (halb Konkurrenz), spornt sie beide an härter zu trainieren. Wann immer man aufgeben will blickt man zum anderen hinüber sieht: ne, jetzt kann man noch nicht aufhören.
Sein Freund geht später ins Show-Geschäft: Kampf-Choreographien und Stunts und so.
Shifu baut seine Firma weiter aus.

Besagte Hochenergie-Brücke. Der freundlich lächelnde Mann ist ein alter Kung-Fu Freund von Shifu.


Dann kommt die Krise. Die Große. Die so groß ist, dass sogar riesige Banken ins Wanken geraten.
Shifus Firma übersteht das Erdbeben nicht. Er ist darüber nicht im geringsten bitter.
Wäre er 20 oder 30 Jahre alt gewesen, hätte er sie wieder aufgebaut.
Aber jetzt ist er schon 40. Seine Eltern werden alt, und er will eine Familie. Also geht er nach Hause nach Japan.
Und eröffnet die "New York Kung-Fu" Schule.
Sein Name ist Wald, aber wir nennen ihn Shifu.

Eintopf-Party in Shifu's Haus. Shifu im Hintergrund, Eintopf im Vordergrund.

Mittwoch, 10. Februar 2016

Was zu feiern

Den Unterschied in der Mentalität der Leute kann man ganz gut daran erkennen welche Dinge sie für Feier-Würdig halten.

Amerika feiert seine Soldaten. Mit eigenem nationalen Feiertag.
Natürlich nur die Veteranen. Stubenhocker werden nicht gefeiert.
Vielleicht ist das einer der Gründe für die Auslandseinsätze der USA. Ohne Krieg gäbe es ja irgendwann keine Veteranen mehr zu feiern.

Und auch sonst scheuen sich Soldaten hier nicht sich in ihrer Garde-Uniform ins Nachtleben zu stürzen. Wann haben Sie das letzte mal einen Bundswehr-Soldaten in Ausgeh-Uniform in einer Bar oder im Konzert gesehen? Wann haben Sie überhaupt jemals die BW-Paradeuniform gesehen. Okay, zwei oder drei Leser dieses Blogs haben mich gesehen. Ich hatte das Ding genau einmal an: als ich vereidigt wurde. Immerhin hat mich das etwas vorbereitet darauf in einer Bar plötzlich einem Marine Sergeant gegenüberzustehen. Genug um seinen Dienstgrad zu wissen (von wegen NATO Bündnispatner). Das hat ihn beeindruckt, weil das wohl viele seiner Landsleute trotz Hollywood-Bildung nicht wüssten. Naja, den Tag feiern ist halt einfacher als sich mit der Sache zu beschäftigen.



Japan feiert seinen Kaier!
Beide!
Nein, nicht die Kaiserin. Den Kaiser vor dem Kaiser.
Genau: den Showa-Kaiser Hirohito.
(Ja, der mit dem Weltkrieg.)
Normalerweise wird traditionell nur der Geburtstag des gegenwärtigen Kaiers gefeiert, aber nachdem Hirohito gestorben ist hat man einfach weitergefeiert. Passiert schonmal dass die Party weitergeht nachdem der Gastgeber schon gegangen ist.
Um dem neuen Kaiser nicht auf die Füße zu treten hat man den Tag grün angemalt. Am "Grün" Tag wird dann halt offiziell was anderes verehrt. Natur und so, uns das grüne Gras das übers Grab wächst.
Vor ein paar Jahren war dann genug Gras gewachsen und man fand man könnte jetzt schon wieder zugeben, dass das Kaisers Geburtstag sein soll. Aber jetzt haben sich die Leute halt schon an den grünen Tag mit der Natur gewöhnt. Also ist der "Tag der Ruhe" jetzt der neue "Grüne Tag", und der alte Grüne Tag heißt jetzt "Showa-Tag", und der neue Kaiser hat immer noch Geburtstag.
Mal sehen ob's mit dem nächsten Kaiser wieder eine neue Farbe und einen zusätzlichen Feiertag gibt.



In Amerika war nächste wichtige Fest war dann Thanksgiving. Das ist, so wurde mir gesagt, fast genau so wichtig wie Weihnachten, was den Müttern doppelten Stress auferlegt.Die Geschichte die sich hier über Thanksgiving erzählt wird dreht sich darum, dass die ersten Siedler einmal gemeinsam mit einem Stamm Amerikanischer Ureinwohner gemeinsam die gute Ernte gefeiert, und auch sonst viel paktiert haben.
Die Nachkommen der Ureinwohner sehen das etwas anders und ärgern sich über das Hurra-Amerika gehabe. Dieses Thanksgiving war das doppelt pikant, weil nach den Anschlägen in Paris viele Politiker keine Syrischen Flüchtlinge mit an den Festtagstisch lassen wollen. Naja, vielleicht schließen sie auch von sich auf andere und befürchten, die nächsten "verdrängten Amerikanischen Ureinwohner" zu werden.

Immerhin: das Fest bewegt nicht nur die Leute, sie bewegen sich auch: es gibt nämlich eine große Parade. Die wird zwar vom Kaufhaus Macy's organisiert, erweckt bei den New Yorkern aber trotzdem etwas Lokalpatriotismus und andere warme Gefühle.



Ernte wird in Japan nicht mehr gefeiert: so wie man über die Felder Elektronik-Konzerne gebaut hat, hat man über Erntedank den Tag der Arbeit gebaut. Was ja auch passt, da die wenigsten Japaner Bauern sind und die meisten Lebensmittel importiert.
 
Aber dafür wird die Natur gefeiert, wie man ja schon am grünen Tag sehen konnte.

Aber Moment! Japan ist doch von Meer umgeben! Da ist die Hälfte der Natur doch gar nicht Grün? (Naja, eigentlich, ...)
Aber ja! Dafür gibt's dann den "Meer-Tag", ein nationaler Feiertag in dem man den Ozean feiert, und was man da so zum essen heraus ziehen kann.

Aber Moment! Wo bleibt da der Kaiser!
Aber doch! Der Tag geht zurück auf eine See-Reise des Meiji-Kaisers (der Kaiser vor dem Kaiser, vor dem Kaiser, vor dem Kaiser; der der die Samurai abgeschafft hat).

Aber Moment! Auf der anderen Seite besteht Japan doch im Inland fast komplett aus Bergen.
(Naja, die sind aber doch grün, ...)
Aaach, was solls! Dann machen wir halt noch einen Feiertag für die Berge und was man da so zum Essen runterholen kann.
Ja, ganz frisch und nochniedagewesen ab diesem Jahr.
Wir warten auf einen neuen Kaiser, den wir da dran hängen können.