Dienstag, 24. November 2015

Vervorurteilt

Also, um ganz ehrlich zu sein: besonders scharf war ich eigentlich nicht darauf, herzukommen.
Soo großer Amerika-Fan bin ich nie gewesen. Zwar war ich schonmal da, und das war auch super, es war aber auch als kleiner Bub, reiner Tourist, und vor dem 11. September 2001.
Alles was ich danach aus den USA gehört habe war eher beunruhigend: Bürgerrechtsverletzungen, Gewalt, Rassismus, Krieg, noch mehr Gewalt, Umweltverschmutzung, Folter, Massenüberwachung.
Dementsprechend waren meine Erwartungen nicht die besten.

Aber das schöne daran trotzdem zu gehen: man kann seine Vorurteile bestätigen!
... wenn man denn kann.


Erster Blick aus meinem Fenster auf den Broadway. Der Broadway ist so lang, dass "am Broadway wohnen" sowohl Luxus als auch Armut bedeuten kann. Je höher die Hausnummer desto schlechter.


"Also da wo du wohnst, da solltest du Abends besser nicht mehr auf die Straße gehen", sagt mir ein Freund, der lange selbst in New York gelebt hat. Ja super: als freiheitsliebende Nachteule ist eine Ausgangssperre genau das was ich hören will. Zu allem Überfluss stecke ich auch noch so lange in der Passkontrolle fest, dass ich erst Nachts ankomme, übermüdet und mit schweren Taschen. Mist. Einen guten Eindruck macht die Gegend auch nicht. Dunkel und dreckig. An jeder Straßenecke lungern Gruppen von Männern herum. Mist, mist, mist, wo ist das verdammte Haus. Zweimal in die falsche Richtung gelaufen. Endlich gefunden! Safe!

Die Vermieterin gefragt ob man hier Nachts vorsichtig sein muss. Muss man scheinbar nicht, wie ich auch noch am selben Abend bei einem entspannteren zweiten Blick feststellen kann.
Die Autos sind hier viel zu schön und unversehrt als dass echte Ghetto-Stimmung aufkommen könnte. Die Leute die an auf der Straße herumlungern tun das wohl aus rein sozialen Gründen. Generell sind alle recht freundlich. Sprechen halt kein Englisch - scheint das Mexikaner-Viertel zu sein. Da muss man halt mit Handzeichen nachhelfen um dem Verkäufer zu sagen wie er das Fleisch schneiden soll. Dafür schneidet er es mir netterweise dann auch genau so wie ich es gestikuliert habe.


Über solche Kellereingänge werden die allgegenwärtigen "Deli" Mini-Märkte bestückt. Fast wie Japanische Konbinis oder deutsche Tankstellen, nur etwas schmutziger. Dafür können sie hier auch kein Englisch. Fühlt man sich also gleich wie zuhause.

Oh, wo wir schon beim Essen waren: Amerikaner sind ja gerne Zielscheibe des Spottes für ihr Übergewichtsproblem. Zumindest hier in New York kann ich das nicht bestätigen. Eher im Gegenteil: die Supermärkte sind voller Health-Food. Besonders der Proteingehalt von Essen ist hier wichtig und oft angepriesen. Protein-Shakes gehören hier zur Standard-Ausstattung jedes kleinen Supermarktes. Bis zu dem Punkt, dass sogar Starbucks Protein-Kaffees verkauft. Das erklärt auch wo die Leute die ich so im Gym treffe ihre Monster Muckis herhaben. Hab ich Monster gesagt? Den RedBull-Ersatz-Energydrink "Monster" gibt es hier auch in einer Protein Variante.


Die $1.39 betreffen den Kaffee darunter. So billig ist das Leben hier nicht.

Okay, natürlich gibt es auch dicke Leute, und genug ungesundes Zeug dass die Essen können. Während Deutsche und Japanische Supermärke immer dieselben 4-5 Schokoriegel anbieten gibt's hier ganze Regale voll von Süßigkeiten die ich noch nie gesehen habe. Und Toast der Praktisch Kuchen ist, komplett mit Rosinen drin. Und zum draufschmieren gibts Marschmellows.
Bevor ich wieder gehe werde mache ich mal einen Fress-Tag wo ich das alles durchprobiere. Wenn ich danach noch tippen kann, berichte ich darüber.


Das ist die Brotaufstrich-Abteilung. Die Schokostreusel da links sind also auch fürs Brot gedacht.

Samstag, 7. November 2015

Fernwest

In Japan wird ja jeder Student der kein Japaner ist als "Austausch-Student" (留学生) bezeichnet, selbst wenn er ganz normal eingeschrieben ist und an überhaupt gar keinem Austauschprogramm teilnimmt, selbst Leute mit Dauer-Visum die schon seit Jahren hier leben. Ist halt so.


Also bin ich, um dem ganzen einen Twist zu geben, mal ins Ausland gegangen, als Austausch vom Austausch (der gar kein Austausch ist), und zwar nach New York.

Und das kam so:


Unser neuer Hilfs-Professor ist.. naja, also... mit dem wird einem nicht langweilig. Und er hat immer große Pläne und feste (neue) Meinungen.

Sein neuester Plan: um weltweit ganz vorn mit dabei zu sein müssen wir regelmäßig Studenten ins Ausland schicken. Ist wohl so eine Networking Sache.
Ich muss dabei an den Geschichtsunterricht denken, als man im Mittelalter Politik betrieben hat, indem die Adeligen ihre Töchter an fremde Königshäuser verheiratet haben um einen Fuß in die Tür zu kriegen. Ich werde also als Prinzessin an einen berühmten Professor an der Columbia University verschachert.
Ist mir recht - etwas Tapetenwechsel kann man gut gebrauchen.


 So einfach geht das aber natürlich nicht. Erstmal muss man sich durch die Bürokratie durchwursten und ein Visum kriegen. Wieso ein Visum? Als Deutscher kann ich doch auch so für ein paar Wochen in die Staaten, oder? Ja, aber dann kann die Uni mich nicht offiziell als Austauschstudenten (genauer gesagt: "Short-term Scholar") annehmen. Nicht dass sie mir Geld zahlen würden (Hallo, Mitgift funktioniert anders 'rum!), aber ohne Papierkrieg macht's keinen Spaß.

Also Formulare ausfüllen, Gebühren zahlen, zum Konsulat gehen.

Vom Konsulat wieder weggeschickt werden weil man was falsch gemacht hat und der Passierschein A38 fehlt. Zwischen zwei Konferenzen im Starbucks sitzen und 99Fragen über mich beantworten, die ich selber gar nicht über mich weiß, und daher meinen eigenen Lebenslauf herauskramen muss.

Wieder zum Konsulat gehen, reingelassen werden. Typisch Amerikanisch ist das Ding eine Festung. Nichmal mein Handy lassen sie mir. Nach 3 Minuten "Interview" (dass mich ne Stange Geld gekostet hat) dann die gute Nachricht: Visum wird erstellt.

Westen, ich komme.


Nur das der Westen hier im Osten ist. Obwohl ich über Peking fliege (Air China war mal wieder billigste Option), ist die Flugroute über Alaska und Kanada der kürzere Weg. Ich fliege also nochmal an Japan vorbei, und komme eine halbe Stunde später in New York an.
Normalerweise fliegen Flugzeuge ja nicht schneller als die Erdrotation, aber da ich jetzt nach Osten fliege (also über die Datumsgrenze) gelingt mir beinahe ein Zeitsprung: Abflug 13:00Uhr, Ankunft 13:30.
Von Sitznachbarn mit kleiner Blase und dauer-weinenden Babys nur unwesentlich angeschlagen stehe ich noch eine gute Stunde in der Schlage um mein Visum angeschaut zu bekommen. Irgendwann zieht mich jemand aus der Reihe und stellt mich in eine extra Schlage: sie wollen die Leute aus dem AirChina Flug endlich durch die Schleuse haben, damit wir unser Gepäck endlich vom Gepäckband nehmen. Naja, mir solls recht sein.

Und so komme ich erst gegen 18:00 in meiner neuen Bleibe an...

(Nein, dass ist nicht meine neue Bleibe.)