Sonntag, 24. August 2014

Verlängerung

Er klang so gut!
Den Master ein halbes Jahr vorziehen und dafür sofort in den Doktor-Kurs rein.
Stipendium läuft weiter, also bekomme ich über die drei Jahre grob 5 Millionen Yen (36.000 Euro), plus Studiengebühren, die ich ja nicht zahlen muss. Gut, jeden einzelnen Monat sind 1000 Öcken dann auch wieder nicht so viel wie ich als Arbeitnehmer bekommen würde, andererseits will ich eh lieber ein Start-Up gründen als arbeiten... wobei mir die Uni wiederum helfen würde.

Und überhaupt! Doktor! Ich! Muahahaha.

Also: Antrag gestellt. Antrag genehmigt gekriegt! Super!
Doch was man sich vorher nicht so genau überlegt hat, muss man sich halt im Nachhinein durch den Schädel schieben lassen.
Ein auf und ab des "war-das-jetzt-so-eine-gute-Idee"?


Was unsere Bibliothek halt so zum studieren hergibt...


Ich mache einen Monat Praktikum in Tokyo. Endlich mal weg aus der Isolation des Land-Campus.

Dann ist der Monat rum und ich denke mir: gut, jetzt bin ich auch wieder bereit für die ruhige Umgebung, wo man sich gescheit auf die Arbeit konzentrieren kann und nicht pendeln muss. Sauber und geräumig.
So mach ich mich auf den Heimweg. Und zwar sehr schnell.
Nein, so sehr zieht es mich dann doch nicht zurück.
Ich habe andere Sorgen: den letzte Bus! In Nara werden Abends recht zeitig die Gehsteige hochgeklappt, und ich habe keine Lust mit meinem ganzen Gepäck am Bahnhof gestrandet zu stehen.
Der weg bis Kyoto ist kein Problem: der Shinkansen-Schnellzug rast in Rekordzeit durch die Abenddämmerung.
Von Kyoto bis zum nächstbesten Bahnhof am Campus nehm' ich extra noch den teuren "Limited Express", denn so komme ich gerade noch rechtzeitig!
Ich springe aus dem Zug, hieve mein Gepäck die Treppe hoch, keine Zeit auf den Aufzug zu warten, renne zur Bushaltestelle, verschwitzt aber zeitig.... okay, wo ist der Bus?
Kein Bus.
Neuerdings fahren nach 8 überhaupt keine Busse mehr zum Campus.

Ich nehme den letzten Bus der zumindest noch etwas näher an die Uni hin fährt.
Der Bus nimmt meine Bus-Karte nicht an.
In Tokyo hatte ich meine alte Karte verloren und eine neue gekauft.
"Funktioniert die auch in ganz Japan?", habe ich gefragt,
"In ganz Japan", hat sie gesagt, "nur in einigen ländlichen Gebieten kann es sein, dass sie nicht akzeptiert wird."
Ich dachte sie meint irgendwo in Hokkaido oder auf Okinawa. Aber Nara zählt wohl schon als letztes Hinterland.
Wilkommen Zuhause! Dein Reisfeld wartet!




Am Campus wird ein Symposium abgehalten. namhafte Wissenschaftler aus aller Herren Länder kommen angereist, Vorträge werden gehalten, Bankett wird gegessen, Ausgetauscht wird sich.
Sie schauen sich sogar meinen Prototypen an und geben etwas konstruktive Kritik. Dann trinken wieder alle.

Das wäre doch was! So ein Leben! Ein paar Jahre Forscher. Teil dieser Gesellschaft der Visionäre und Vordenker. Um die Welt jetten! Konferenzen besuchen! Interessante Leute treffen. Zum steten Niederlassen ist es doch noch zu früh!
Auf geht's zu neuen Horizonten!

So eine schlechte Ausgangsbasis ist diese Uni dafür nicht. Vor ein paar Jahren wurde sie im Hochschul-Ranking sogar sie Nummer 1 in Japan. Der Professor hat viele Kontakte. Die Uni hat viel Geld und interessante Austauschprogramme. Warum nicht mal ein halbes Jahr Finland! (den Sommer bitte!) oder Neuseeland (den Winter bitte, weil dann haben die da Sommer).
Steckt doch mehr in so einem Studium als nur 60 Stunden die Woche im Labor...




Wochenende. Der Taifun schließt mich im Labor ein. Es ist unangenehm drückend schwül heiß und dunkel unter dem tief-grauen Himmel. Draußen gießt es wie aus Wok-Töpfen.

Kurze Pause und Fern-Unterhaltung mit einem alten Freund zu hause.
> Und, was machst du so?
> Wir waren gestern im Biergarten.
Biergarten. Da war doch was....? Draußen sitzen. Klare, trockene Luft. Gutes, kaltes Bier. Brezen, Obatzda, Wurstsalat...
Das Heimweh trifft mich wie eine Backfotzn.
Was zur Hölle mache ich hier?
Ich gehör' hier doch gar nicht her!
Mein Körper ist nicht gebaut für dieses Klima, und überhaupt, BREZEN MIT OBATZDA!




Der letzte Kurs. Vermutlich der letzte den ich je in meinem Leben belegen werde. (Im Doktor-Kurs gibt's keinen Unterricht mehr). Und es geht um: Management.
Also: wie man sein Start-Up als Unternehmensgründer managen kann.
Der Kurs ist so-so la-la, aber irgendwie doch interessant und ich freue mich, dass ich fast 60% von dem Inhalt direkt verstehe (ist schließlich Business Japanisch).

Aber etwas ganz anderes beeindruckt mich viel mehr:
Sonst habe ich eher Probleme mich mit den Japanischen Studenten anzufreunden.
Angepasst aber orientierungslos. Nur nichts riskieren und hoffen in eine große Firma reinzurutschen, egal als was. Null Eigeninitiative.
Aber hier tragen nun ein paar Studenten vor, die es wagen wollen ihre Ideen in Unternehmen zu verwandeln. Energetisch, begeistert, offen.
Na, das ist endlich wieder ein Teil von Japan den ich näher kennenlernen will.
Wenig bekannt ist ja, dass Unternehmertum eine alte Japanische Tugend ist. Zumindest laut dem Internet: getroffen habe ich noch keinen.
Bis jetzt...



Ich habe dann diese Woche mal meinen Forschungsplan für den Doktor eingereicht.
Das Abenteuer ist noch lange nicht vorbei!
... wohl oder übel...

Montag, 11. August 2014

Nach-arbeit

Vor gut einer Woche habe ich mein Praktikum bei einer ungenannten aber sehr großen Japanischen Firma in Tokyo beendet. Da bleibt noch etwas Luft für abschließende Bemerkungen und Anekdoten zu Arbeit und Stadt.



Das mit den unmenschlichen Überstunden ist wohl doch nicht so schlimm. Zumindest in meiner Firma wurde rechtzeitig Schluss gemacht, und die Scharen der Anzugträger strömten durch die Gassen zum Bahnhof. Mich eingenommen, ich kann also nicht garantieren ob nicht ein paar Arme Kerle jeden Tag bis in die Nacht hinein geschuftet haben. Die Kollegen haben es jedenfalls bestritten. Waren aber stets Morgens vor mir da und blieben Abends ein bisschen länger.
Jedenfalls kann man der Firma keinen Vorwurf machen. Jeden Tag Pünktlich zu Feierabend kam der Gong und die Drucksage, man solle doch auf seine "Work-Life-Balance" (das Wort haben sie aus dem Englischen eingekauft) achten und ein bisschen mit der Familie plaudern. Das ist ja die alternative Erklärung dafür, dass Japanische Männer erst so spät Heim kommen: sie verbringen nicht so gerne Zeit mit der Familie...



Unweit meiner Bleibe gibt es einen beschaulichen Stadtteil namens "Ebisu".
Kommt der Name bekannt vor? Beim Blog-Lesen fleissig aufgepasst und Notizen gemacht?
Genau: Ebisu ist hier eine bekannte Biermarke. Tatsächlich ist es eines der besten Biere in ganz Japan. Und hier war früher die Brauerei. Dann haben sie irgendwann einen Bahnhof gebaut, um ihr Bier besser vertreiben zu können. Der hieß dann folgerichtig Ebisu-Station. Und als sich immer mehr Leute rund herum ansiedelten (weil: wer will nicht neben der Brauerei wohnen?), haben sie den Stadtteil ausgehoben und Ebisu genannt.
Können wir das auch für München einführen?
Die Brauerei ist mittlerweile weg, der Stadtteil wächst und gedeiht.
Zweimal war ich dort, beide male um Freunde zu treffen (jedes mal andere).
Das erste mal waren wir dann auch Anständig im Ebisu-Restaurant. Dort haben sie zu ihrem japanischen Bier dann Deutsches Essen angerichtet, weil, naja, die Deutschen haben Erfahrung darin zum Bier passendes Essen zu machen. (Oder wollen sie Reis zu ihrer Halben?)
Das zweite mal wanderten wir unverhofft in ein Straßenfest. Super! Da holen wir uns ein Bier einer der Buden und schlendern durch die Nacht! Nur.. ein Problem... ES GIBT KEINEN EINZIGEN STAND FÜR EBISU BIER?! Also bitte...




 Wie Sie vielleicht schon verstanden haben, war Sicherheit und Geheimhaltung bei der Firma ja oberste Priorität. So musste ich bei Arbeitsantritt auch seitenweise Geheimhaltungs-Klauseln unterschreiben. Das sind im Prinzip dieselben NDAs (Non-Disclosure Agreement) die man auch im Westen kennt. Nur das jeder Punkt noch 3 mal genau abgegangen und auf der nächsten Seite nochmal im Detail erläutert wird. Also auch wirklich wirklich wirklich nix verraten, ne!?

So einen Echten Grund hatte das nicht. Die Firma spekuliert nämlich im großen Stil auf Patente. Es gab einfach eine Planvorgabe, wie viele Patente jedes Labor jedes Jahr hervorzubringen hat. Dazu haben sie dann allerhand Hilfsmittel, inklusive eine Wand-Tafel wo jeder Forscher für jede Patent-Idee ein Sternchen bekam. So als Motivation. So wurde das morgendliche "was-haben-wir-gestern-gemacht"-Meeting für die meisten auch zum "an-welchem-Patentantrag-haben-wir-gestern-geschrieben"-Meeting.
Wozu also Geheimhaltung wenn man eh vor hat jede Idee sofort zu Patentieren? Wir erinnern uns: Patente sind öffentlich einsehbar. Man verschenkt also das Geheimnis in der Hoffnung dass der Rechtsstaat einem dann ein Exklusivrecht einräumt.
Einem Kurs an meiner Uni zufolge scheuen viele Japanische Firmen sogar Patente, weil: die sind teuer in Japan, aber nicht so eine sichere Geldanlage wie anderswo. Man weiß also erst nach Jahren teuren Rechtsstreites ob das Patent vor Gericht irgendwas wert ist.

Naja, aus meiner Arbeit geht bestimmt kein Patent hervor, also kann's mir egal sein.