Sonntag, 27. Juli 2014

Seniorensport

Japaner sterben ja bekanntlich bald aus. Hört man zumindest immer wieder. Werden einfach nicht mehr genug neue Japaner geboren. Die Geburtenrate ist ein echtes Problem.
Was dabei oft vergessen wird: selbst wenn in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerung stark zurückgehen wird, es gibt momentan immer noch 1.5 mal so viele Japaner wie Deutsche (beide Länder sind fast gleich groß). Die können es also noch etwas ruhig angehen lassen mit dem Kinder kriegen bis sie so wenige sind wie wir.
Wir stellen also fest: in Japan muss es jede Menge alter Leute geben. Was machen die alle so?
Wenn sie nicht arbeiten (ich werde in Supermärkten an der Kasse gerne mal von alten Omas empfangen oder von rüstigen Opas auf dem Parkplatz eingewiesen)...
SPORT!

Und zwar nicht zu knapp...




Normalerweise benutze ich das Gym am Campus, weil: nah und kostenlos. Also sehe ich vor allem andere Studenten. Doch momentan bin ich nicht am Campus. Also habe ich mich beim örtlichen Spot-Club eingeschrieben. Neben körperlicher Ertüchtigung suchte ich auch soziale Kontakte zu anderen jungen, aktiven Menschen (... ja, ja, bevorzugt weiblichen Geschlechts).
Den Teil mit dem "jung" musste ich dann ganz schnell streichen. Der Altersdurchschnitt wird von den wenigen 40Jährigen noch gedrückt. Gedrückt wird sonst das schwere Eisen, von Opas.
An dieser Stelle würde ich mich gerne über die Senioren Lustig machen. Trau ich mich aber nicht, weil: die drücken mehr als ich!
Kein Scherz. Ich habe Bodybuilder-Opas Gewichte stemmen gesehen, die kein Student am Campus hoch kriegt.
Die alten Damen halten sich eher an die Fitness-Maschinen, machen da aber auch eine gute Figur. Ich will jetzt keine Sprüche über "Kontakte zu aktiven Menschen weiblichen Geschlechts hören"! Die sind alle seit 50 Jahren verheiratet, vermutlich noch mit einem von den Muki-Opas!



Das war auch nicht das erste mal, dass meine Sportlichen Leistungen von Rentnern in den Schatten gestellt wurden. Bereits letztes Jahr am Mount Fuji musste ich gedemütigt feststellen wie viele 80 Jährige einen Berg bezwingen, der noch von der Mittelstation aus höher ist als die Zugspitze... und keine Seilbahn hat. Gut, wenigstens war ich schneller oben.

Seit dem kam das Thema oft im Gespräch mit Japanern auf. Jedes mal habe ich dann meine Gesprächspartner gefragt ob sie auch schon oben waren auf dem heiligen Berg.
Waren sie nicht. Scheinbar geht man in Japan erst auf den Fuji wenn man über 60 ist.
"Sie gehen dann bestimmt auch, wenn Sie mal alt sind", sage ich scherzend.
"Ja, mit dem Hubschrauber", antwortet mein Kollege, nicht ganz so scherzhaft im Angesicht seiner momentanen Figur.

Überhaupt heben sich Japaner Sport gerne fürs fortgeschrittene Alter auf.
Was die suche nach den jungen, aktiven Menschen des anderen Geschlechts immer etwas einseitig macht.
Sie: "Du bist gut in Form! Was machst du denn für Sport?"
Ich: "Kampfsport. Gerade Kung-Fu, aber normalerweise Taekwondo. Oft gehe ich aber auch einfach nur so ins Fitness-Studio. Und du?"
Sie: "ähh.... also als ich in der High-School war...." (was so 5-10 Jahre her ist...)

Dabei gäbe es reichlich Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung. Alle paar hundert Meter gibt es in Städten einen "Koen", also einen öffentlichen, kostenlosen Park. Neben dem obligatorischen Kinderspielplatz und Baseball-Feld gibt es dort oft auch Trainingsgeräte, sauber aus rostfreiem Stahl geschweißt. Da kann man dann große, schwere Räder drehen, mit den Beinen Trittflächen schwingen und was den Körper sonst noch zum schwitzen bringt. Natürlich kann man den Park auch zum Joggen verwenden. Wird auch gemacht. Von allen Anwohnern über 50. Vielleicht habe ich ja nur das Schild nicht gesehen, das Jugendlichen den Zutritt verwehrt. Ach ne, Nachts sind die dann doch da. Trinksport, sie wissen schon.




Zur Ehrenrettung der jungen Generation sei noch angemerkt, dass Kinder bis 15 hier auch reichlich Sport treiben. Meine Kung-Fu Klasse ist von mit kleinen Rabauken und am Eingang meiner derzeitigen Muki-Bude muss ich mir den Weg durch eine Meute an Knirpsen bahnen, die zum Schwimm-Unterricht gekommen sind.
Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Lachend, weil ich denen Fitnessmässig noch was vormachen kann.
Weinend, weil ich die Zeit kommen sehe, wenn sie 16 werden und jegliche Bewegung einstellen werden.
Ich seh' euch dann in 50 Jahren wieder!


Dienstag, 15. Juli 2014

Konzernd

Und weil immer nur Studieren auch langweilig ist, dacht' ich mir: arbeitest halt mal wieder.
Also: Praktikum bei einer nicht genannten, großen Japanischen Firma.
Ja, so groß, dass auch Sie sie kennen würden, wenn ich sie denn sagen würde.
Was ich nicht tue, weil ich Problemen mit den Vorgesetzten aus dem Weg gehen möchte solange ich mein Praktikumszeugnis noch nicht habe.
Und Anonym kann man leichter lästern...



Also bin ich jetzt auch ein Anzug-tragender Sarariman. Zwänge mich jeden morgen brav in den Zug (nein, so schlimm wie das auf den Photos aussieht ist das bei uns glücklicherweise nicht) und marschiere dann vom Bahnhof zum Firmengebäude.

Ich verwende bewusst das Wort "marschiere", denn zusammen mit den Kohorten aus anderen Angestellten marschieren wir brav in 2-3er Reihen die Straßen herunter. Nicht ganz so geordnet wie beim Militär, aber schon beeindruckend.
An jeder Kreuzung steht ein Sicherheits-Mann. Also: von der Konzern-Sicherheit.
Der weist die Leute ein, schön am Straßenrand zu bleiben, stehen zu bleiben wenn Autos kommen, und sogar den ganzen Bogen über die Kreuzung zu gehen. So: abkürzen über die Mitte wäre zwar auch legal, sähe aber nicht so schön aus.

Wir haben dafür auch extra einen Knigge, wie wir uns außerhalb des Konzerngeländes verhalten sollen. Nicht dass da jemand rauchend, essend oder redend das Ansehen der geliebten Firma beschmutzt.

Laut einem bekannten, ehemals Angestelltem war das früher sogar noch schlimmer:
da drückte man ihm einen Wälzer in die Hand mit Regeln bis hin ins kleinste Detail,
wer wo im Aufzug zu stehen hat. (Tipp: der nieder-rangigste Angestellte muss an der Tür stehen und den Aufzug bedienen).
Da hat sich das Klima scheinbar ein bisschen gelockert.




Was dagegen noch ganz groß geschrieben wird ist: SICHERHEIT.
Moment, das war nicht groß genug:
SICHERHEIT!
Bis ich meine eigene Keycard (mit Passbild) hatte, konnte ich nicht einmal alleine aufs Klo gehen.
Also: bis zum Klo kam ich schon, aber nicht mehr zurück: gleich zwei Türen verwehrten unautorisierten Klogängern den Rückweg an den Arbeitsplatz.

Aber hey, das ist das kleinere Problem. Schließlich geht man nur 1-2 mal am Tag aufs Klo.
Das größere Problem ist das der Arbeitsplatz an den man zurück kehrt gar kein Internet hat.
Das macht das nachschlagen von Informationen ziemlich schwierig, vor allem weil die meisten Bücher im Labor Japanisch sind.
Ich verwende also mein Smartphone (also: auf eigene Kosten) um zu finden was ich gerade brauche.
Aber das Smartphone, abgesehen von dem Mini-Bildschirm, hat noch ein ganz anderes Problem: kann keine PDFs anzeigen. Also nix mit Paper lesen.
Die anderen Angestellten können mithilfe eines Passwortes vorübergehend das Internet verwenden. Also frage ich einfach einen Kollegen mir ein paar Dokumente herunter zu laden.
Okay, gemacht, ging ja doch.
Wie krieg ich die jetzt auf meinen Computer 'rüber?
Betretenes schweigen.
USB-stick geht nicht.
Grübeln.
Es muss sich dann noch ein weiter Kollege an meinem PC anmelden, um über einen Shared Server die Datei auf meinen Rechner zu ziehen.
Ich habe dann aufgehört nach Dokumenten zu fragen. Ich zerstöre ja mehr Arbeitszeit als ich leiste...



Da mach ich doch lieber erstmal erquickende Morgengymnastik! Das ist Teil der Firmenkultur: Über den Lautsprecher werden die Anweisungen in alle Räume übertragen. Und jetzt die Arme kreisen, 2, 3, 4, und die Hüfte, 5, 6, 7 ...
Nein, natürlich macht da keiner mit. Naja, geistig vielleicht. Oder eher nicht, weil sich alle geistig schon fit machen fürs Morgen-Meeting. Da müssen alle im Kreis stehen und Report geben: was sie gestern getan haben und was sie heute zu tun gedenken.
Das wird vom Aufseher auch alles in seinem Notizbuch festgehalten.