Montag, 29. Juli 2013

Arbeitsjagd

Sie schauen ihn alle etwas komisch an. Nicht so herabblickend, sondern einfach verwundert... oder verwirrt...
Also alle: sowohl die Internationals als auch die Japaner - aber aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Nur weil er einen Anzug anzieht - oder besser versucht anzuziehen.
Anzüge sind so gar nicht sein Ding. Das mit der Kravatte gleich zweimal nicht.
Aber ich weiß warum er's trotzdem probiert - probieren muss:
er will einen Job!
In Japan!
Da geht ohne Anzug und Kravatte gar nichts - selbst in kleinen, jungen, dynamischen IT Firmen nicht.
Wir Ausländer wundern uns also warum er so ein Geschiss macht: als Informatiker kann er doch kommen wie er will.
Die Japaner dagegen wundern sich, warum er jetzt erst damit anfängt, wo er doch schon in drei Monaten graduiert. Viel zu spät meinen sie, und wundern sich wie er all die Jahre ohne Anzug ausgekommen ist.




In Japan läuft das mit der Arbeitssuche etwas anders als im Westen. Hier ist Job-Hunting ein Lebensstil. Shūshoku-Katsudo (就職活動) nennen sie das, und es kann gerne mal ein halbes oder ganzes Jahr des Lebens verschlingen, bevorzugterweise während man noch Student ist, damit man nicht als NEET (Not in Employment, Education or Training) abgestempelt wird.
Und so entstehen zwei Pfade durch Japanische Masterkurse: der Weg der Ausländer ist geprägt von mäßigem Stress, akzeptabler Freizeit, stetem Sammeln von Credits und was man sonst so von unseren Unis kennt.
Aber nicht für die Japaner: die versuchen verzweifelt alle Credits schon im ersten Jahr zusammenzukratzen, damit sich sich danach ganz aufs Jobsuchen konzentrieren können. Also schieben sie Doppelschichten im Labor und den Vorlesungssälen. Die Uni sah sich gezwungen den Wahnsinn etwas einzudämmen und verfügte, dass man keine Credits von zwei Kursen bekommen kann, die zur selben Zeit stattfinden. Scheinbar haben zu viele Leute versucht die Grenzen der Physik zu dehnen um in zwei Vorlesungen mit Anwesenheitspflicht gleichzeitig anwesend zu sein. Alles nur um ihre Credits schneller voll zu kriegen.




Im zweiten Jahr sind die Studenten dann nämlich weg. Man trifft sie kaum noch im Labor, und die Email von ihnen sind immer dieselben: "Es ist unentschuldbar, aber ich kann diese Woche nicht am Meeting teilnehmen, weil ich ein Vorstellungsgespräch habe."
Der Professor hat sie verdonnert immer dazu schreiben zu müssen, welche Firma, wann und wo das wievielte Vorstellungsgespräch für welche Stelle das ist. Um Missbrauch vorzubeugen.
Ist aber kein Versuch zu Schwänzen. Sie fahren wirklich für eine gute Stelle bis zu 5 mal nach Tokyo. Ich hab ja im Leben noch nie ein zweites Vorstellungsgespräch für irgendwas gehabt. Ich bin ja nicht bei "FirmaX sucht den Super-Programmierer" und lass' mich zum "Recall" einladen. Aber für die Japaner ist das normal. Immerhin - für die späteren Interviews übernehmen die Unternehmen manchmal die Reisekosten.
Also wieder rein in den Anzug und zum Bahnhof.
Was Japaner nicht alles über sich ergehen lassen für eine gute Stelle.
Japanisch lernen zum Beispiel:
Die höheren Sphären der Höflichkeit - Keigo (敬語) - das man im Alltag vor allem als "das komisch Zeug das Verkäufer reden" kennt.
Japaner verstehen zwar meist was gemeint ist wenn sie es hören, aber richtig verwenden können sie es nicht. Da muss man nämlich genau darauf Achten welcher Gruppe man angehört, wer der Gesprächspartner ist und wie die Beziehung zum Gesprächsobjekt ist. Also kein Pappenstil. Da müssen manche nochmal einen Sprachkurs belegen.




Wir reden übrigens immer noch von Hochschulabsolventen in Boom-Branchen von einer respektablen Uni die erst letztens sogar einen Nobelpreisträger produziert hat.
Was ist da schief gelaufen?
Absolventen sind Massenware hier. Nicht nur ist die Quote an Hochschulabsolventen deutlich höher als im Westen, es macht auch gar keinen Unterschied was man Studiert hat: man ist einfach Human Resource. Der Abschluss ist nicht die Vorbereitung und Spezialisierung auf einen bestimmten Beruf, sondern einfach eine Bewährungsprobe, dass man kompliziertes Zeug lernen kann.
Das ist den Leuten aber auch schon bei der Wahl der Studiums klar. Nicht wenige Informatik-Studenten geben offen zu nie als Informatiker arbeiten zu wollen.
Und eine Freundin aus der Bio-Fakultät hat letztens endlich einen guten Job gelandet. Bei Bandai.
Bandai? Der Spiele-Firma?!
Ja.
Sie hat einen Doktor in Biologie und arbeitet jetzt bei Bandai als, äh.... Office Lady.
Wundern sie sich also nicht wenn demnächst Pflänzchen aus ihrem Spielzeug wachsen.
Da hatte jemand Tag-träume auf der Arbeit.

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