Mittwoch, 28. November 2012

Schöner rotten

Kirschblüten-schauen kennt man ja.
Doch weil das nur einmal im Jahr geht, haben sich die Japaner ein Gegengewicht ausgedacht:
dieselben Bäume die man im Frühling beim blühen bestaunt hat, kann man im Herbst nochmal beim Lauben bestaunen: Momiji!
Da denkt man sich: blühen schon und gut, aber warum soll ich mir verrottendes Blattwerk anschauen.
Doch hier gibt es die berühmte "Ganbarimasu!"-Mentalität, und da strengt sich sogar das Herbstlaub nochmal so richtig an gut auszusehen.
Mit Erfolg.












Sonntag, 18. November 2012

ÜBER-nachten

Shüüden - der letzte Zug! Der gnadenlose Richter der die Nacht entscheidet. Gehen oder bleiben, rechtzeitig erreichen oder verpassen. Und dann, WAS?
Taxi? Hah, warum nicht gleich mit dem Geld ein wärmendes Feuerchen machen?
Dann doch lieber noch einen Trinken gehen und entscheiden, welchen Plan B man heute aus dem Ärmel schüttelt, um die Nacht nicht nur zu überleben, sondern so richtig ÜBER zu leben...




 Capsule Hotel:
Sinnbild japanischer Lebenskultur: die Massen an Anzugtragenden Bürohengsten müssen erst ewig Überstunden drücken, dann noch mit dem Chef saufen gehen, und so kommen sie natürlich nicht mehr zurück zu ihrer Familie und müssen in einer Kapsel schlafen, nicht viel größer als ein Sarg.
Tatsächlich sind Capsule-Hotels am ehesten mit Jugendherbergen zu vergleichen: statt ein Zimmer allein zu haben, teilt man sich die Stockbetten mit anderen Gästen (so etwa 50). Nur dass die Schlaf-Kapseln etwas mehr Privatsphäre und Komfort bieten. Meist sind ein Fernseher, Radio und Wecker in die Wand eingelassen.
Abgesehen von dem minimalen Schlafraum (Menschen ab 185cm Länge oder 1m Breite haben ein Problem) sind die Capsule-Hotels oft sogar ziemlich gediegen: manche haben ein japanisches Bad, Sauna und Aufenthaltsräume mit Büchern, Zeitschriften und Comics.
Es gibt sogar Capsule-Hotel-Fan-Reviews, die den Kapsel-Fans verraten wo die schönsten Hotels sind.



Karaoke:
Die Jugendlichen und Jung gebliebenen sagen gern: wenn wir den letzten Zug verpasst, dann gehen wir halt in die Karaoke-Box! Die ganze Nacht? Die ganze Nacht!
Haben sich Japaner evolutionär weiterentwickelt und können jetzt alternativ zum Schlaf auch 5 Stunden Schnulzen schmettern?
Nein, die kleinen privaten Räume sind einfach billige, klimatisierte Räume, in denen man wegratzen kann.
Man kann die Karaoke-Box darin zwar nicht abschalten, aber leise drehen. Und wer bei sich ewig wiederholenden Werbe-Jingles nicht schlafen kann ist kein echter Japaner!
Alternativ kann "Karaoke gehen" aber auch etwas anderes bedeuten: wegen der relativ guten Privatsphäre haben Pärchen (und solche die es werden wollen) endlich die Gelegenheit zum ausgiebigen Knutschen - was in der Öffentlichkeit für Japaner nicht wirklich eine Option ist.



Manga-Cafe:
Da viele Jugendliche in Japan kein eigenes Zimmer haben (oder aus anderen Gründen möglichst viel Abstand zu ihren Eltern halten), haben sich neben den Game-Center (Spielhallen) die Manga-Cafes (Comic-Bibliothek) entwickelt. Hier kann man abhängen, Comics lesen, DVDs schauen, im Internet surfen und sein Handy wieder aufladen. Entweder man bekommt einen normalen Sessel zugewiesen (wie im Internet Cafe), oder mietet sich ein privates Abteil.
Und nachdem Japaner geübt darin sind einfach überall einzuschlafen, stört es sie auch gar nicht so die Nacht zu verbringen. Toiletten und Getränke-und-Essensautomaten gibt's ja sowieso...
Das ist so ein Erfolgskonzept, dass sie mittlerweile sogar Duschen, Pärchen-Räume und Solarien-Betten gibt (hier ist mir der Sinn nicht ganz klar, denn für Japaner gilt es als schön möglichst blass zu sein).
Das ist also ein Hotel, ohne ein einziges Bett, dafür mit Regalen voller Comics und DVDs. Und so kann man für 15€ schonmal die Nacht rumbringen.
Einen unguten Beigeschmack hat die Sache aber doch: kleine Separees mit bequemen Sesseln und große Auswahl an Pornos... vielleicht möchte man doch lieber der erste sein, der diese Nacht das Abteil verwendet...



Love Hotel:
Japanern mangelt es an Privatsphäre: durch die beengten Wohnverhältnisse ist so etwas wie "das eigene Schlafzimmer" und "solide, schalldichte Wände" reines Wunschdenken.
Gleichzeitig mangelt es ihnen am Willen, ihre sinnlichen Erfahrungen mit den Kindern, Eltern oder Nachbarn zu teilen. Zur Rettung gibt es: die Love-Hotels. Hotels, die keine Reservierung nehmen und nur kurzfristig, anonym und zeitlich begrenzt gemietet werden können.
Da sie auch für ganz normale Eheleute die einzige Option darstellen mal wieder neue Japaner zu produzieren (ihr wisst schon: Geburtenrate und Überalterung) haben Rabu-Ho (mit dem 'L' hapert es hier bekanntlich, und was mehr als 4 Silben hat muss nochmal abgekürzt werden) keinen schlechten Ruf und gelten auch nicht als verrucht.
Normalerweise haben Love-Hotels zwei Optionen:
1: "Ausruhen" für einige Stunden gibt es ab 20€ (wenn jemand danach ausgeruht ist, ist etwas schief gegangen).
2: "Übernachten" gibt es zwischen 60€ und 80€. Da lassen die Hotelbetreiber sich auch nicht lumpen: von der Einweg-Zahnbürste über das Duschgel bis hin zu Kaffee und Tee-Beuteln nebst Wasserkocher ist alles da was man erwarten kann.
Erinnert einen eigentlich nichts daran, dass man nicht in einem normalen Hotel untergekommen ist.
Außer den vielen Spiegeln. Und dem einseitigen Fernsehprogramm. Und den Badezimmerwänden aus Glas. Und den versiegelten Fensterläden. (Hä, so spät schon? Ist doch noch dunkel draußen..!)
Achso: Kondome gibt es natürlich auch. War wieder nix mit der Geburtenrate!

Da könnte man glatt auf die Idee kommen: wenn man sonst kein Hotel mehr bekommen hat (oder zu faul zum reservieren war) könnte man auch mal allein im Lovehotel unterkommen.
Falsch gedacht. Singels sind unerwünscht und werden wieder weggeschickt.
Warum ist nicht klar - schließlich zahlt man. Aber Japaner hassen jede Art von Fehlbenutzung.
Oder vielleicht glauben die Hotelbetreiber nur, dass der blöde Ausländer mal wieder nicht kapiert hat worum es hier geht...
Ein (bisher noch ungetesteter) Tipp ist, eine große dunkle Tüte mitzunehmen und dem Personal anzudeuten, der Lebensabschnittsgefährte sei aufblasbar...
Aber natürlich macht es schon rein preislich mehr Sinn sich ein Zimmer zu teilen.
Was sie wohl zu Dreier- oder Vierergruppen sagen würden....?


Mittwoch, 7. November 2012

Direkt höflich

Und da sagt mir die Frau an der Kasse doch direkt ins Gesicht: "Ich empfange dann mal dass sie noch etwas warten." Immer so höflich diese Japaner.

 Es ist natürlich nicht fair, Deutsche Umgangsformen auf Japan anzuwenden, oder japanische Phrasen eins-zu-eins ins Deutsche zu übersetzen. Aber interessant ist es doch:
wollen wir uns im Deutschen höflicher ausdrücken, so fangen wir an immer indirekter zu sprechen, bis der Satz irgendwann keinen Sinn mehr ergibt.
> Bitte geben sie mir das Handtuch.
> Würden sie mir bitte das Handtuch geben.
> Dürfte ich sie bitten mir das Handtuch zu geben?
> Ist das jetzt schon die Bitte oder fragen sie noch ob sie bitten dürfen?

Wir verwenden aber dieselben, normalen Worte, und greifen nicht zu geschwülstigem Vokabular.
Japaner machen es umgekehrt: der Satz bleibt gleich, aber die Worte werden nach und nach durch immer höhere Ebenen der Höflichkeit geschraubt, ohne dass sich ihre Bedeutung ändert.
> Bitte geben sie mir das Handtuch.
> Bitte reichen sie mir das Handtuch.
> Ich bitte um das ehrwürdige Reichen des Handtuches.
> Ich erbitte die erhwürdige Dareichung des Handtuches.
Das ganze schraubt sich in solche höhen, dass Japaner selbst nicht mehr so genau Bescheid wissen.
Kürzlich musste eine Freundin bei meinem höflichen "Ich-stell-mich-mal-eben-vor" Monolog doch kichern. Sie meinte in ihrem Leben noch nie das Wort "benannt" verwendet zu haben. Dabei wurde uns im Sprachunterricht eingeschärft, dass das "heissen" in "Ich heisse Max" manchmal nicht höflich genug ist...
Scheinbar doch.



Manchmal ist es nicht einmal mehr nötig, die Form zu wahren. Auf einen Zustand hinzuweisen beinhalten bereits die dazugehörige Aussage.
"Das war böse von mir" oder "Ich war böse." sind vollständige Entschuldigungen. Als Deutscher hätte ich immer gerne noch gehört, dass es ihnen auch Leid tut, dass sie böse sind - ein bisschen wenigstens. Sagen sie aber nicht mehr.
"Ich habe keine Entschuldigung!" sagen sie. Dass ist besonders höflich das direkt zuzugeben und keine Ausrede vorzuschieben. Aber mir würde es durchaus mehr zusagen, wenn sie sich wenigstens eine kleine Notlüge einfallen lassen würden - wisst ihr: damit man sieht dass sie es versucht haben.



Wenn man vor einer schwierigen Aufgabe einem Deutschen gerne "Viel Glück" wünscht, sagen sich die Japaner: "Streng dich an!"
Das ist nicht abwertend gemeint, sondern Ausdruck japanischen Leistungsdenkens.
Hat man sich dann richtig schön angestrengt, sagt man zu einander nicht etwa: "war mir eine Ehre" oder "GottSeiDankistderScheißvorbei", man sagt "das war richtig schön anstrengend".
Worauf die, die noch bleiben antworten: "Ja, ist richtig schön anstrengend", und sich noch etwas anstrengen...