Dienstag, 30. Juni 2020

Boss (29)

Ich hasse den Monatsanfang.
Pünktlich wenn der Kalender von der 3X auf die 1 umschlägt kriege ich wieder Depression.
Für eine Woche habe ich keinen Bock auf gar nichts mehr, drängel mich irgendwie durch die Tage und versuche mit niemandem zu reden.
Der Grund ist dass ich meine Buchhaltung selber mache.
Nicht das Buchhalten selbst - Zahlen-Schubsen ist meine Leidenschaft.
Sondern dass hier das phantomhafte Unbehagen das mich den ganzen Monat nur aus der ferne an-stiert sich wie ein Gespenst in Zahlen materialisiert:
auch diesen Monat, egal wie sehr ich mich auch bemüht habe, haben wir wieder Geld verloren.
Doch nicht diesmal.
Diesen Monat ist Halloween.
Halloween, exakt 5 Jahre nachdem ich an jenem Morgen des 1. Oktober beschlossen habe eine Firma zu gründen.
Dank meinem Zweit-Job - der mehr Geld einbringt als ich mir wünschen könnte - und einigen guten Produkt-Verkäufen bin ich positiv. Diesmal wird es reichen gerade so schwarze Zahlen zu schreiben!
Ich bin so aufgeregt dass ich die ganzen Abschlußrechnungen schon am 31. mache.
Und nachdem ich alle Daten in die Software eingegeben habe, sehe ich den Endbetrag.
Und der ist gar nicht mal so klein.
Und rot.
Tief rot.
Es war nichtmal knapp.
Ich würde hier gerne einen cleveren Vergleich schreiben wie ich mich gefühlt habe, aber ich habe einfach gar nichts mehr gefühlt.




Ich muss gar nicht mal nachschauen um zu wissen wo ich das ganze Geld wieder verloren habe: Gehälter.
Ich kann zwar mehr Geld in die Firma rein schaufeln als ich fressen kann, aber ich bin ja nicht der einzige Mitesser.
Das ist wohl das bittere Ende das auf 90% aller Start-Ups wartet: der unweigerliche Bankrott. Kann ich nur noch ausharren bis zum Ende.

Nein.
Nein, dafür habe ich mich nicht 5 Jahre lang abgeschuftet!
Das Ding hat noch Zukunft!
Ich setze meinen beiden Angestellten ein Ultimatum:
entweder ihr findet in den nächsten Monaten einen Weg der Firma mehr einzubringen als ihr kostet, oder ihr müsst gehen.
Sehen sie ein und stimmen mir zu dass das die beste Lösung für alle ist. Schließlich wollen sie sich auch nicht als Parasiten fühlen.
Ich lasse ihnen alle Optionen wie sie das anstellen wollen und unterstütze sie so gut ich kann.
Sie machen einen Plan und machen sich an die Arbeit.

Der eine konzentriert sich aufs Fund-Raising: Neue Investoren finden.
Wie das lief habe ich ja im letzten Eintrag schon geschrieben.
Er war nur ein knappes Jahr im Team und hatte es eh nie als etwas dauerhaftes gesehen.
Kein Drama. War'n Versuch wert.



Der Andere sucht sich auch noch einen Nebenjob mit dem er Geld einbringt.
Gerade soviel wie sein Gehalt ist.
Leider kostet er mehr als sein Gehalt ist - schließlich zahlt die Firma 50% seiner Versicherungs- und Rentenbeiträge.
Dafür arbeitet er 40 Stunden die Woche an seinem Nebenjob - in einer anderen Stadt. Und praktisch gar nicht mehr unseren Produkten.
Ich ermahne ihn jeden Monat dass er seinem Nebenjob entweder mehr Bezahlung heraus verhandeln soll oder weniger Arbeitszeit. Kann ja nicht sein dass unsere Firma im Endeffekt deren Firma subventionierte Arbeitskraft stellt und damit nur Verlust macht.
Jeden Monat sagt er mir dass da leider nichts zu machen wäre.
Als das Ultimatum zu Ende geht, texten wir hin und her was wir nun tun.
Er meint, wenn er bei der anderen Firma Angestellter wäre (statt Externer) würden sie ihm auch mehr bezahlen.

Kann man nichts machen, oder?
Ja, kann man wohl nichts machen.

Drei Jahre ist es her dass er Angeheuert hat.
Angestellter Nr. 1, jetzt: Letzter der geht.
Ich lege mein Handy beiseite.
Auf einmal ist es ganz still in meinem Zimmer.
Obwohl es bitterkalt ist in meiner Wohnung, wird mir plötzlich warm. Jemand hat eine heiße helle Glühbirne in meiner Brust angeknipst.
Es ist Vorbei! Keine Verantwortung mehr (außer für mich selbst), keine Verluste mehr (außer mir selbst).
Allein sein war noch nie so schön!
Ich fange an zu tanzen. Hüpfe durch meine Wohnung. Singe laut mit zu dem albernsten Song den YouTube zu bieten hat. Werfe meine Klamotten von mir. Springe unter die kalte Dusche.
Ich habe eine zweite Chance.
Diesmal zieh' ich's richtig auf!
Habe große Pläne und noch größere Motivation!
Ich-AG 2.0, ich komme! (Erstmal nur ich, aber ich bin erstmal genug.)