Dienstag, 31. März 2020

Boss (27)

Ein beliebter Spruch in der Gründerszene ist: "ein Start-Up gründen ist wie von einer Klippe springen und versuchen auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zu bauen". Damit ist gemeint daß Geld verlieren am Anfang normal ist. Solange man halt noch welches hat. Zwei Jahre nach meinem letzen "Aufwind" (Investorengeld) scheint der Boden jetzt unangenehm nahe zu kommen. Dabei gibt es durchaus Zeichen daß sich die Situation langsam verbessert. Nur halt nicht schnell genug. Ich muß irgendwie langsamer Fallen. Nur wie?


Eine Sache die sich im Leben ändert wenn man eine Firma gründet ist, dass man besseren SPAM bekommt. Statt russischer Damen in deiner Umgebung bekommt man jetzt russische Herren. Also Programmierer und andere Dienstleistungen. Einmal habe ich das sogar ausprobiert (also die Herren, nicht die Damen jetzt), war aber mit dem Kosten-Nutzen Verhältnis überhaupt nicht zufrieden. Vielleicht kann ich den Spieß ja umdrehen und selbst mal für hohe Kosten nutzlos sein. Mein Trumpf ist dass ich in Japan bin und Japanisch spreche, also den Japanischen Outsourcing-Markt bedienen kann. Gyomu-Itaku heißt das hier, und nachdem ich nicht weiß wo ich selbst anfangen soll wende ich mich ein eine Vermittler-Firma. Ich schreibe also einen Lebenslauf und fange mal nebenher an mich vermitteln zu lassen. Kann ja einige Zeit und ein paar Versuche dafür bis ich etwas kriege.
Ich brauche genau eine Woche und einen Versuch bis ich etwas habe.
Ich unterschreibe also den Vertrag das meine Firma (ich) einen Angestellten (mich) temporär ins Office einer anderen Firma schicken wird. Ich bin die Hure und ich bin der Zuhälter. Aber natürlich geht nichts im dreckigen Business ohne Schmiere, also sitzen noch zwei "Outsourcing Vermittler" dazwischen. Ja, sind jetzt schon zwei. Mein Vermittler hat mich nur weiter vermittelt an jemanden der mich weiter vermittelt. Jeder hält die Hand auf. Aber hey, am Ende kommt noch mehr Geld bei mir an als meine trägen Verkaufszahlen - was irgendwie deprimierend ist, also denke ich nicht darüber nach.


Mein Tagesablauf ändert sich nun - nicht in absoluter Arbeits-Leistung, aber er wird etwas rigider. Ich stehe um 6:00 auf und arbeite beim Frühstück an unserer Produktpalette. Dann Radel ich noch im Pyjama durch die Sommer-Hitze, dusche im FitnessCenter um die Ecke, Arbeite von 8:30 bis 18:30, renne in unserem Office vorbei um mit dem Team die Lage zu besprechen und Bürokram zu erledigen, auf dem Heimweg wieder im FitnessCenter vorbei, Streß abbauen, dann Zuhause nochmal an die Arbeit solange ich mich noch konzentrieren kann, falle ins Bett, schlafe 6 Stunden und wiederhole das ganze. Freue mich aufs Wochenende wo ich wieder von Zuhause arbeiten kann.
Wie gesagt, von der Arbeitslast her überhaupt kein Problem.
Nur psychologisch ist die Situation etwas schwer verdaulich.
Klar, von einer Seite aus gesehen rette ich meine Firma.
Kann man aber auch anders herum sehen:
Ich arbeite Vollzeit für ein Gehalt von dem ich nur träumen kann, nur um dann in meiner Freizeit noch härter zu arbeiten und dabei alles wieder zu verlieren.
Ich spaße dass ich normale Leute mit meiner Ausbildung und in meinem Alter ja eine Frau und zwei Kinder durchbringen - ich habe halt eine Firma und zwei Angestellte. Aber ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Schließlich habe ich die Firma ja auch deswegen gegründet damit ich NICHT Code-Monkey für Cheffe spielen muss.
Jetzt habe ich das schlimmste beider Welten.
Was dem ganzen aber die Krone aufsetzt ist als ich herausfinde dass das Projekt das ich dort übernehme aus öffentlichen Geldern finanziert wird.
Also nochmal: Japans Regierung will das etwas gemacht wird. Also zahlen sie Firma X die Entwickler-Kosten. Firma X gibt einen Teil davon an Outsourcing-Vermittler A, der zahlt Outsourcing-Vermittler B, der bezahlt mich dafür das ich das mache. Das diese Pipeline gewaltig leckt ist wohl klar. In einem Meeting bekomme ich mal das ursprüngliche Dokument zu sehen mit der Firma X sich um die Gelder beworben hat. Und beschließe bei nächster Gelegenheit zumindest mal die Arbeit und den Outsourcing Vermittler zu wechseln. Wie kann die Japanische Regierung glauben dass ein Programmierer im Monat so viel Kostet? Oder... wäre dass das Gehalt dass ich eigentlich hätte haben können wenn ich keine Firma gegründet hätte? Das Leben das ich nie hatte zieht nochmal an mir vorüber. Aber nur kurz - muß noch im Buro vorbei, meine Angestellten aufheitern, Steuerformulare ausfüllen. Noch drei Tage, dann ist endlich Wochenende und ich habe wieder Zeit an unserer Produktpalette arbeiten.