Donnerstag, 28. Februar 2019

Boss (14)

Einen neuen Anwalt (der alte hat sich ja durch monatelanges nichts-tun qualifiziert) habe ich schon vor dem Heimaturlaub gefunden und angewiesen den Umbau der Firma von einer GmbH zu einer AG vorzunehmen. Das passiert also in meiner Abwesenheit - alle Stempel-Drückereien habe ich von vor dem Abflug erledigt. Rechtlich gesehen wird dazu tatsächlich die Firma kurzfristig aufgelöst und sofort neu gegründet. Das wird dann in einer speziellen Zeitung veröffentlicht, damit alle die noch etwas von der Firma wollen (für gewöhnlich: Geld) noch Zeit haben Einspruch einzulegen. Das erste (und in gewisser Weise letzte) Mal dass meine Firma also in der Zeitung steht ist, dass sie dicht macht. Zu irgendeinem Zeitpunkt ist meine rechtliche Bindung an Japan fast null: kein Studienplatz, und für einen Tag auch keine Firma. Hätte ich hier die Ausfahrt nehmen sollen? Hätte ich die Firma in Deutschland neu gründen sollen? Aber ich habe noch ein Team dort, und Freunde, und Investoren die mir Geld geben wollen, und eine Wohnung - die jetzt auch die Wohnung meiner Firma ist. Also wird der (Rück-)Spung gewagt und der Rückflug wird gebucht. Der Rückflug zum Rückflug (also nach Deutschland) erst wieder im Dezember. Ich habe kein Visum bis dahin. Ich habe nicht mal genug Geld um bis dahin dort Leben zu können. Ich drücke auf den "Flug Buchen"-Knopf wie auf den Zünder einer Zeitbombe.
Am Flughafen erzähle ich mal nicht dass mein Studium schon vorbei ist. Dafür sage ich dass ich die Arbeitsstelle für mein nächstes Visum schon habe. Ist nicht gelogen, nur weiß ich halt leider auch dass die gerade frisch umgegründete Firma bis dahin schon insolvent sein wird wenn nichts passiert.
Es muss einfach was passieren!
Zurück an die Arbeit.



Zwei Investoren habe ich ja schon aber weder ich noch Die scheinen der ganzen Kiste so recht zu trauen. Immer neue Fragen, immer neue Reifen durch die ich springen soll. Der eine Investor will dass ich nochmal meine Firma pitche, damit wir weitere Investoren finden - wohl auch um ihn selbst zu beruhigen, dass er nicht der einzige Spinner ist der Potenzial in uns sieht. Ist er aber.
"Ich glaube nicht dass Sie das Zeug haben eine Multi-Millionen-Dollar Firma zu leiten.", sagt mir Mr. U██ einer der potentiellen Investoren ins Gesicht.
Ich sage nichts. Eine Multi-Millionen-Dollar Firma liegt so weit jenseits meines Denk-Horizonts dass ich das tatsächlich auch nicht glauben kann.
Ich gehe zum Entspannen (Stressabbbau) ins Fitness-Studio. Als ich gerade die Bein-Quetsche bearbeite bekomme ich Email. Mr. U██ will sich doch mit einer kleinen Summe an meiner Firma beteiligen. Wie klein? Etwa 10.000$. Was manche Leute so als "kleine Summe" bezeichnen... denke ich und klemme wieder die Schenkel zusammen. Wenige Tage später kommt noch jemand mit einer "kleinen Summe". Jetzt sind es also schon vier Investoren. Viel ruhiger macht mich das nicht - im Gegenteil. Es wird klar, dass die Vier sich gegenseitig als Versicherung sehen. Wenn einer es sich anders überlegt  kann das ganze Kartenhaus zusammenfallen.



Einer der Investoren (der mit der meisten Erfahrung) stiftet den Vertragstext und rät mir einen Anwalt zu konsultieren. Tue ich, auch wenn mir selbst nicht klar ist warum - ich fühle mich nicht in der Position viel zu verhandeln. Ich weiß nicht wie ich meine Miete für den nächsten Monat zahlen soll.
Der Anwalt erklärt mir dass ich an dem Vertrag hier und da noch etwas mehr für mich rausholen könnte. Danke, aber 200.000 Dollar auf dem Firmenkonto sind genug für mich. Kaum habe ich die Kanzlei verlassen hat die Freude ein Ende: die Dame von D████ Schwerindustrie will nochmal eine Neuregelung der Aktienverteilung weil sie da von einem Steuersparprogramm gehört hat. Ich bitte höflich darum zu so einem späten Zeitpunkt nichts mehr an der Aktienverteilung zu ändern. Das kriegt sie in den falschen Hals. Es kostet eine Woche und eine lange Aussprache beim Abendessen bis die Beziehung wieder gekittet ist. Die Umverteilung will sie trotzdem.
Also nochmal den Anwalt zurückgepfiffen und zu allen Investoren den neuen Deal schmackhaft gemacht. "Da gibt es so ein Steuersparprogramm...".
Investor Zwei: "Oh, dann andere mal den Namen auf dem Vertrag von meiner Firma auf mich."
Investor Drei: "... ich glaube das Investment wird dann von ... meiner Frau kommen *ahem*."
Investor Vier: "Hey, ich war damals Mitglied in dem Komitee dass diesen Steuer-Deal ausgearbeitet hat! Jetzt kann ich das zum ersten mal selber machen!"
Ich komme mir langsam verarscht vor, aber drucke einfach nochmal alle Verträge neu aus - um x-ten mal. Langsam werde ich Meister in der Kunst des Vertrags-Bindens - ein spezieller Vorgang der verhindern soll dass nachträglich etwas am Text verändert wird. Am Ende wird dann trotzdem nochmal etwas nachträglich am Text geändert weil ein Tippfehler drin war. Der Anwalt wird das einfach mit Bleistift nachbessern. Soviel also dazu.


Dann sind die Dinger draußen. Bleibt nur noch zu warten - wird das Geld wirklich irgendwann kommen? Es ist der 30. August. Später Vormittag. Ist das Geld vielleicht schon auf dem Konto?

Ich brauche eh mal dringend einen Haarschnitt, und auf dem Weg zum Friseur komme ich ja gleich bei der Bank vorbei - Online-Banking ist hier nicht: ich muß schon das Sparbuch mit zur Filiale nehmen. Der Automat druckt brzzz brzzz neue Zeilen in das Büchlein.
Spuckt es wieder aus.
Vier neue Einträge.
Ich sitze unter dem brzzz-brzzz Haarschneider und langsam sickert es in mein Gehirn.
Ich hab's geschafft.
Ich hab's wirklich geschafft.
Oder?
Ich habe noch nie so viel Geld auf dem Konto gehabt.
Gut, man kann immer sagen: ist ja nicht mein Geld.
Aber selbst wenn es mein Geld wäre, ich würde es für nichts anderes ausgeben als das.
Ich habe eine echte Firma. Mit echtem Geld. Echten Investoren, und bald auch echten Angestellten.
Zeit zur Einwanderungsbehörde zu rennen und klarzumachen dass ich kein Student mehr bin.