Montag, 31. Dezember 2018

Boss (12)

Inzwischen tut sich was im Angestellten-Register.
Einige Studenten in der Gegend sind auf uns aufmerksam geworden und haben mich eingeladen unser System mal in ihrem Bastler-Club vorzustellen. Also nach Kyoto und mit dem ganzen VR-Geraffel in einen Bus voller Touristen (die Uni ist ausgerechnet in der Nähe des berühmten "Goldenen Pavillons"). Doch es lohnt sich: eine Studentin ist so begeistert, dass sie gleich ein Praktikum machen und bei der Entwicklung mithelfen will.
Das trifft sich zeitlich gut, weil ich bei einem anderen Bastler-Meeting gerade erst einen Programmierer kennen gelernt habe der auch in seiner Freizeit ein bißchen mithelfen will. So kann ich die Einführung gleich für beide Gleichzeitig machen.

Also: Vertrag aufgesetzt, Stempel drauf gedrückt.
Schon lustig - es ist nicht so lange her als ich Praktika gemacht habe und Sachen erklärt bekommen habe, jetzt sitze ich auf der anderen Seite des Tisches. Und natürlich werde ich alles besser machen als die Praktika, die ich selbst bekommen habe. Dachte ich. Da hatte ich noch den Luxus des "von der Realität ungestörten Denkens".


Dann kriege ich eine Email von einem alten Freund der Familie. Er ist ein echter Unternehmer - okay, jetzt muss ich wohl sagen: "er ist auch Unternehmer", aber seine Firma gibt es schon etwa so lange wie mich. Also: mich selbst, nicht meine Firma. Er ist also also ein echtes Vorbild.
Er arbeitet gerade daran eine Zweigstelle in Japan aufzubauen und hat dafür gerade den richtigen Mann gefunden: einen noch-Studenten-bald-Absolventen, einen Japaner der sich mit der Technik auskennt und auch begeistert ist die Japanische Zweigstelle eines Deutsches Unternehmens sein zu können.
Da gibt es nur ein Problem: die Zweigstelle gibt es bisher erst in den Köpfen aller beteiligten, nicht auf dem Papier und noch nicht auf dem Amt. Und jetzt soll der Japaner erstmal zur Weiterbildung nach Deutschland fliegen. Wie soll sich dass denn buchhaltungstechnisch ausgehen?
Naja, ich haette da ja eine Firma, die ganz ganz legal Leute einstellen...
Erstmal Beratung beim Anwalt geholt.
Darf ich ihn den Einstellen wenn er nicht mal in Osaka lebt? Klar, schreiben wir halt "arbeitet von Zuhause" in den Vertrag.
Und der Deutschland-Aufenthalt? Kommt auch mit in den Vertrag, kein Problem.
Und dass er gar nicht an unserem Produkt mitarbeiten wird? Naja, "IT-Dienstleistungen" sind unser Business. Er kann also ohne Probleme als "Berater" bei einem anderen Unternehmen aushelfen.
Mir kommt das gerade recht: je mehr Angestellte und je mehr Aufträge meine Firma hat, desto einfacher sollte es werden später ein ein "Manager"-Visum zu bekommen.

Also: Vertrag aufgesetzt, Stempel drauf gedrückt. (Langsam habe ich da Routine).
So wird mein erster Vollzeit-Angestellter ein Mann den ich gar nicht kenne. Ein Mann dessen Arbeit ich nicht sehe, nichtmal verstehen würde. Ein Mann den ich nie selbst treffen werde. Ein Japaner der in meiner Heimatstadt sein wird während ich versuche in Japan die Firma aufzubauen, bei der er offiziell angestellt ist. Eine Firma deren Büro er nie betreten wird.
Meine Situation wird echt immer verrückter.


Die nächste Email die ich kriege ist auch eine Überraschung - aber keine sehr nette.
Es ist die Investorin. Genau genommen ist es eine Antwort-Email. Eine Antwort auf eine Email die ich nie gesehen habe. Eine Email die unser Buchhalter ihr geschickt hat - hinter meinem Rücken.
Wie erwähnt hatten wir uns um Subventionen beworben.
Nun, damit sind wir gescheitert.
Das war soweit vorhersehbar, aber wie wir gescheitert sind war dann doch problematisch.
Als ich die Unterlagen am Amt aufgeben wollte wurden die schnell einmal auf Vollständigkeit und Korrektheit unüberprüft.
Sie waren: weder noch.
Also bin ich mit dem Fahrrad quer durch Osaka gerast um zwischen Office, dem Buchhalter, und dem Amt noch schnell eine korrigierte Version abgeben zu können. Am Ende saßen der Buchhalter und ich im Wartezimmer des Amtes wie Eltern im Krankenhaus. Der Beamte hat jetzt Zeit sich ihr Kind anzusehen. Ja, klarer Fall von "ist tot". Die Bewerbung war so grundlegend Falsch dass er uns da auch nicht helfen konnte. Und ich dachte der Buchhalter kennt sich mit sowas aus. Aber manche von den Fehlern waren sogar für mich offensichtlich. Naja, kann man nichts machen.
Jetzt aber sehe ich in der Antwort-Email der Investorin, dass er ihr die Story schon erzählt hat. Warum hat er mich da nicht in den CC gesetzt? Könnte damit zusammenhängen wie er unser Scheitern erklärt. "Mangel an Führung und überhaupt keine klare Vision für die Zukunft.". Das sei in der Firma überhaupt so ein Problem.
Kurz gesagt: ich soll schuld sein. Ach ja? Eine Skype-Aussprache später (in der er wenig Einsicht zeigt, dafür um so mehr zusammenhangslose Kritik an mir hervorblubbern lässt) ist klar: wir werden wohl getrennte Wege gehen. Also er geht. Ich gehe in den Keller der Buchhaltung und muss mir irgendwie beibringen zu verstehen was er da noch so an Zeug vergraben hat...