Mittwoch, 30. November 2016

Du japanisch, Ich höflich

Wenn man anfängt Japanisch zu lernen, fällt einen recht schnell auf wie sehr sich der Lehrer damit quält einem nicht die Worte fuer "Du" oder "Sie" beizubringen. Man soll den anderen doch lieber mit Namen + "san" ("Herr" oder "Frau" - Japaner unterscheiden da nicht) anreden.
Das fühlt sich für Europäer reichlich blöd an. Hätten Herr Lehrer noch andere Wünsche?
Also gibt der Lehrer bald nach und sagt, man soll den Banknachbarn halt "Anata" nennen, und zu sich selbst "Watashi". Klingt ja umständlich.

Das Problem ist nicht, dass Japaner keine Worte für "ich" und "du" haben, sondern dass sie zu viele haben, und die Höflichkeitsregeln nicht einfach zu durchschauen sind. Mal ein paar Beispiele:



Also erstmal zu mir. Ich bin Watashi... wenn ich mit Geschäftsfreunden oder meinem Professor spreche. Sollte ich mal Politiker werden oder sonst reden halten, könnte ich sogar zum Watakushi werden - das extra "ku" macht's nochmal formeller.
Um vom Watashi zur Atashi zu werden wäre schon eine größere Operation nötig, denn nur Frauen können das "w" fallen lassen - müssen sie nicht, tun sie aber wenn sie niedlich sein wollen.
Unter Freunden werde ich zum Boku. (Das können Frauen jetzt wiederum nicht, ätsch-bätsch). Eigentlich müßte ich zum Ore werden, traue mich aber oft nicht, weil ich nicht 100% weiß wem gegenüber das zuu selbstbewußt erscheinen könnte. Boku ist da auf dem halben Weg zum Watashi schon sicherer.
Wenn ich über 60 wäre könnte ich auch ein Ware sein. Nicht, dass das Wort alten Herren vorbehalten ist, es ist nur so aus der Mode geraten sich selbst als Ware zu bezeichnen, dass nur überlebende der "guten alten Zeit" noch darauf zurückgreifen.
Oh, und weil ich in der Gegend von Osaka / Kyoto wohne werde ich gelegentlich zum Uchi (lies: Utschi). Das klingt fuer Leute aus Tokyo genau so bescheuert wie für Sie jetzt.



Aber kommen wir jetzt mal zu Ihnen.
Die Japanische Nationalhymne heißt: "Kimi-ga-yo" (君が代). (Voll vom Thema abgekommen... ne doch nicht, denn:) In diesem Fall spricht man mit dem "Kimi" den Kini Kaiser an. Es ist also die höchst mögliche Ehrerbietung einer Anrede.
Das Schriftzeichen lässt sich auch "kun" lesen. Dann kann man etwa ShoKun (諸君) sagen, was eine sehr förmliche Anrede für eine Gruppe Menschen ist. "Meine hochverehrten Damen und Herren". Zumindest müssen das nicht alles Kaiser sein.
Man kann damit auch einzelne Personen anreden, indem man es an ihren Namen anhängt. Aus Tanaka-san wird dann Tanaka-kun. Das spart man sich aber lieber für den Sohn von Herrn Tanaka, denn es impliziert dass man mindestens mal deutlich älter und eigentlich auch höher in der Rangordnung steht als der "-kun", oder dass man zumindest sehr gut befreundet ist. Außerdem kann man nur Jungs so ansprechen. Mädchen sind kein "-kun". Oh, aber wie am Anfang gesagt kann man das Schriftzeichen ja "kimi" lesen. Das kann man anstelle des Namens auch als "du" verwenden. Wenn man denn in der Hierarchie wirklich sehr deutlich über dem Kimi steht. Gute Freunde sind kein "Kimi". Die eigene Freundin aber schon, denn Maedchen sind fast immer "Kimi" bis sie das Arbeiten anfangen und "Tanaka-san" werden. Das ist nicht herablassen oder so. Naja, eigentlich irgendwie schon, aber es gibt sonst keine Möglichkeit seine Freundin anzusprechen. Sie "Anata" zu nennen ist so als würde man sie Siezen. Oh, aber natürlich sagt sie zu ihnen "Anata" (oder "Anta" wenn sie wieder niedlich sein will).

So, jetzt versteht der Herr Leser warum Leute gerne diesem Minenfeld entkommen indem sie auf "ich" und "du" möglichst verzichten.