Mittwoch, 31. Dezember 2014

Japanischer Marsch (Teil 2)

Am nächsten Morgen machte ich mich zeitig auf den Weg. Nach Norden, wo immer ich durch das Gewirr an Straßen durch kam immer nach Norden. Das war zwar nicht die effizienteste Route, aber damals hatten Mobiltelephone noch kein GPS. Und da ich hatte keine Lust immer wieder meine große Karte auszupacken. Also wählte ich einen 2-Stufen-plan für die nächste Etappe:
(a) wenn man immer weiter nach Norden geht, kommt man irgendwann an den Fluss Yodogawa.
(b) wenn man immer weiter dem Yodogawa stromaufwärts folgt, kommt man irgendwann nach Kyoto.
Nachdem ich also einige Stunden durch die Stadt marschiert war erscheint vor mir die grüne Wand: der Deich die tief liegende Innenstadt vor Überschwemmungen schützt. Von oben sehe ich die weitläufige Flusslandschaft. im Grünstreifen zwischen Deich und Fluss reihen sich Baseball-Felder, an Picknick-Plätze, Toilettenhäusel and Bolzplätze. Oben auf dem Deich läuft ein asphaltierter Radweg, an dessen Rand immer wieder Steinplatten mit Kilometer-Zahlen eingelassen sind. Das gefällt mir: da weiß ich recht genau wie schnell ich voran komme.


Also marschiere ich los. Links spielen sie Baseball, rechts hupen die Autos. Links tollen Kinder über den Rasen, rechts übt eine Gruppe Bogenschützen auf einem Hausdach. Ich zähle die Brücken die ich unterquere, genieße die Sonne und den Wind, lerne nebenher ein paar Japanische Wörter ("verlaufen" kann noch sehr hilfreich sein). So vergeht Stunde um Stunde der Tag.


Als es Abend wird ist mir nach einer Pause und einem Bad. Kein Problem, denn ich habe ja das Wort für "Öffentliche Badeanstalt" gelernt. Tatsächlich gibt es in Japan noch reichlich Badehäuser, obwohl mittlerweile die meisten Häuser eigene Bäder haben. Ich lasse mir also von einem Einheimischen den Weg zeigen und gehe erstmal Baden. Das heiße Wasser ist genau das richtige für meine schmerzenden Knie und verspannten Schultern.

Bleibt nur noch ein Problem: wo schlafen? Hotels gibt es hier nicht und selbst wenn: in der Golden Week wären die schon seit Monaten ausgebucht.
Aber ich habe einen Plan: Love-Hotels, eigentlich gedacht für die traute Zweisamkeit von Pärchen, gibt es fast überall und reservieren kann man sie auch nicht.
Ich habe mir vorausschauend extra mehrere Karten ausgedruckt, die ich von Google Maps, Stichwort "LoveHotel", zusammengestellt habe.
Also marschiere ich abseits vom Fluss etwas die Landstraße herunter und finde schließlich das erste Hotel.
Ich betrete den Vorraum und sehe eine Wand mit Abbildungen von Hotel-Zimmern. Eine kleine Dame kommt auf mich zu. Als sie mich sieht, alleine und mit großem Rucksack, bekommt ihr Lächeln sofort einen Hauch unangenehmer Peinlichkeit.

Ich versuche ihr zu erklären, dass ich gerne übernachten würde. (Mein Japanisch zu dieser Zeit war noch reichlich unausreichend).
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.
Ich versuche ihr zu erklären, dass das schon klar gehe. Ich zahle gerne für ein Doppelzimmer.
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.
Ich versuche ihr zu erklären, dass ich nicht gerne auf der Straße schlafen möchte.
Sie versucht mir zu erklären, dass das kein "solches" Hotel sei.

So komme ich nicht voran. Also Plan B:
Ich versuche zu erklären, dass meine Freundin später kommt.
Das glaubt sie mir jetzt auch nicht mehr, oder vielleicht versteht sie mich auch nicht.
Ich gebe auf und gehe wieder.
Sie entschuldigt sich nochmals.


Also zum nächsten Hotel. Dieses ist ziemlich ausgefallen, mit ummauerten Hof und Palmen und einem kleinen Wasserfall in der Lobby.  Gehobene Klasse.
Die Rezeption ist auf Kopfhöhe mit Stofftüchern verhängt, so dass man nur über die Theke sehen kann. Direkter Blickkontakt zwischen Personal und Gast ist nicht möglich. Trotzdem kann ich die Tatsache, dass ich allein bin nicht verbergen.
Ich erkundige mich nach den Preisen. Die werden mir erläutert, nebst der Anmerkung dass das alles "2-Personen" Räume seien. Ja, ja, passt schon. Ich probiere die Taktik von vorhin wieder, und täusche sogar ein Handy-Gespräch vor um etwas mehr Glaubwürdigkeit zu erzielen.
Das hätte ich vorher üben sollen. Es ist überraschend schwer so ein Gespräch vorzutäuschen. Ich komme mir so bescheuert vor, dass ich einfach wieder gehe ohne es nochmal zu probieren.



Langsam gehen mir die Optionen aus. Ein Hotel habe ich noch auf der Liste.
Hier gibt es überhaupt keine Rezeption, nur eine Wand mit Bildern der Räume und darunter Knöpfe.
Ich drücke auf einen Kopf, und Leuchtpfeile an der Wand weisen mir den Weg.
Der Raum hat einen kleinen "Windfang", wo man die Schuhe gegen Slipper tauschen kann. Hier gibt es auch eine kleine Durchreiche in der Wand. Wohin die führt sieht man nicht, weil sie zu ist.


Ich nehme sicherheitshalber beide Paare Slipper mit ins Zimmer, und lasse auch keine Schuhe außen stehen. Kaum habe ich meinen Rucksack abgesetzt, klingelt das Telephon. Ein Schwall Japanisch, von dem ich fast kein Wort verstehe lässt die Hoffnung auf eine geruhsame Nacht sinken. Schließlich kapiere ich, dass ich gefragt werde ob ich nur einige Stunden bleibe oder die ganze Nacht. Die ganze Nacht, sage ich. Das beendet das Gespräch. Sollte es doch noch klappen mit dem Bett?
Es klopft an der Tür. Verdammt! Das war's wohl!
Ich trete in den Vorraum.
Die Durchreiche ist jetzt offen, aber sie ist zu klein um mehr zu sehen als ein paar Damenhände.
Mir wird ein Betrag genannt.
Ich zahle.
Die Klappe schließt sich.
Ich gehe zurück ins Zimmer.

...
Dann gehe ich mir den Angstschweiß abduschen und lege mich ins Bett...

Das Fenster rechts erlaubt einen Blick in die Dusche.