Mittwoch, 14. Oktober 2020

Donnerstag, 30. Juli 2020

Pura

Als ich gerade frisch in Japan angekommen bin, war einer der ersten Sätze den ich mir eingeprägt habe: "Danke ich brauche keine Einkaufstüte".
Musste man immer dran denken. Sonst würde ein Verkäufer nie die Schande begehen einem nicht alles in eine Plastiktüte zu packen.
Natürlich kann man Plastiktüten weiterverwenden, spätestens als Mülltüten (das Müll einfach zum Abholen an den Straßenrand gelegt wird habe ich ja schonmal erwähnt). Aber man kann auch nur begrenzt viele Mülltüten brauchen.
In neue Wohnung eingezogen. Voll möbliert vom Vormieter übernommen. Findet man also alles. Hier der Staubsauger, dort der Abfluss-Frei, hier die 20 liter fassende Schublade randvoll mit Plastiktüten die man bestimmt nochmal irgendwann für irgendwas verwendet. Kennt jeder.
Naja, zumindest jeder Ausländer. Japaner stopfen ihre Plastiktüten nicht einfach so in eine Schublade.
Glaube ich zumindest, ausgehend von meiner begrenzten Erfahrung Damen zum gemeinsam-Abend-Essen-Kochen einzuladen (Japanerinnen lieben Käsespätzle), und dann am nächsten Morgen die Einkaufstüte fein säuberlich in ein kleines Dreieck zusammengefaltet vorzufinden. Ob auch japanische Männer dieses Trash-bag-Origami beherrschen weiss ich leider nicht.


Aber warum erzähle ich das?
Weil damit jetzt Schluss ist! Seit dem 1.7. gilt ein neues Gesetz das Kostenlose Plastiktüten illegal macht. Der Verkäufer muss also jetzt immer fragen ob man man eine Plastiktüte will.
Und obwohl die nur 2 Cent kosten würden sagen die meisten überraschenderweise Nein Danke.
überraschenderweise weil ich nie einen Japaner "Nein Danke" sagen hören hab als sie noch nicht gefragt wurden.
Scheinbar wurde die unhöflichkeit eine geschenkte Tüte abzulehnen nicht so leicht übers herz gebracht... oder den Leuten sind 2 Cent mehr wert als die Umwelt. Jedenfalls wirkt das Gesetz.

Leider sind die Tüten nur ein Teil des Problems. Da bei mir Müll getrennt wird sehe ich leider sehr deutlich, dass Plastik den größten Anteil ausmacht. Gefolgt von Tetra-Packs.
Bekannt und oft angeprangert wird ja, dass in Japan in jeder Packung Kekse, jedes Paar Kekse nochmal extra eingeschweißt wird. Alle sagen, das ist voll die Verschwendung. Die haben alle keine Ahnung. Die eigentliche Verschwendung ist nicht das Pärchen-Päckchen, sondern die 40-Kekse-Umverpackung.
Ich esse durchschnittlich einen Keks am Tag. Im schwül-heißen Sommer ist die Haltbarkeit einer angebrochenen Kekspackung etwa 2 Tage, und der zweite Tag hat schon leichten Pudding-Flair. Zu verlangen die Pärchen-Packungen aufzuhören ist also reiner Wahnsinn wenn man nicht den Tauben auf dem Balkon 38 Kekse spendieren will.


Ist nicht so als ob mir die Umwelt nicht am Herzen läge. Habe extra das Fleisch und Fisch Essen aufgehört für die Natur (Naja, für die Tauben würde ich eine Ausnahme machen, aber die sehen schon arg Schadstoffbelastet aus). Jetzt Esse ich also nur noch Tofu-Tier. Das stellt mich vor neue Probleme, denn Tofu wird immer stückweise in Plastikschalen verkauft. Und wenn sich die Schalen so stapeln frage ich mich ob ich damit der Natur so einen grossen Dienst erweise.
Verpackungslose Läden gibt es hier überhaupt nicht. Wüsste aber auch nicht wie das bei Tofu funktionieren soll. Japanischer Tofu ist so zart dass er in der Hand zerbricht - schwierig den in eine Doggy-Bag zu packen.
Wie mans macht macht mans falsch.
Ich freue mich jedenfalls das die Schublade sich langsam aber sicher leert. Wird dann bald Platz für wichtigere Dinge bieten. Bei der aktuellen Geschwindigkeit vielleicht schon nächstes Jahr.


Dienstag, 30. Juni 2020

Boss (29)

Ich hasse den Monatsanfang.
Pünktlich wenn der Kalender von der 3X auf die 1 umschlägt kriege ich wieder Depression.
Für eine Woche habe ich keinen Bock auf gar nichts mehr, drängel mich irgendwie durch die Tage und versuche mit niemandem zu reden.
Der Grund ist dass ich meine Buchhaltung selber mache.
Nicht das Buchhalten selbst - Zahlen-Schubsen ist meine Leidenschaft.
Sondern dass hier das phantomhafte Unbehagen das mich den ganzen Monat nur aus der ferne an-stiert sich wie ein Gespenst in Zahlen materialisiert:
auch diesen Monat, egal wie sehr ich mich auch bemüht habe, haben wir wieder Geld verloren.
Doch nicht diesmal.
Diesen Monat ist Halloween.
Halloween, exakt 5 Jahre nachdem ich an jenem Morgen des 1. Oktober beschlossen habe eine Firma zu gründen.
Dank meinem Zweit-Job - der mehr Geld einbringt als ich mir wünschen könnte - und einigen guten Produkt-Verkäufen bin ich positiv. Diesmal wird es reichen gerade so schwarze Zahlen zu schreiben!
Ich bin so aufgeregt dass ich die ganzen Abschlußrechnungen schon am 31. mache.
Und nachdem ich alle Daten in die Software eingegeben habe, sehe ich den Endbetrag.
Und der ist gar nicht mal so klein.
Und rot.
Tief rot.
Es war nichtmal knapp.
Ich würde hier gerne einen cleveren Vergleich schreiben wie ich mich gefühlt habe, aber ich habe einfach gar nichts mehr gefühlt.




Ich muss gar nicht mal nachschauen um zu wissen wo ich das ganze Geld wieder verloren habe: Gehälter.
Ich kann zwar mehr Geld in die Firma rein schaufeln als ich fressen kann, aber ich bin ja nicht der einzige Mitesser.
Das ist wohl das bittere Ende das auf 90% aller Start-Ups wartet: der unweigerliche Bankrott. Kann ich nur noch ausharren bis zum Ende.

Nein.
Nein, dafür habe ich mich nicht 5 Jahre lang abgeschuftet!
Das Ding hat noch Zukunft!
Ich setze meinen beiden Angestellten ein Ultimatum:
entweder ihr findet in den nächsten Monaten einen Weg der Firma mehr einzubringen als ihr kostet, oder ihr müsst gehen.
Sehen sie ein und stimmen mir zu dass das die beste Lösung für alle ist. Schließlich wollen sie sich auch nicht als Parasiten fühlen.
Ich lasse ihnen alle Optionen wie sie das anstellen wollen und unterstütze sie so gut ich kann.
Sie machen einen Plan und machen sich an die Arbeit.

Der eine konzentriert sich aufs Fund-Raising: Neue Investoren finden.
Wie das lief habe ich ja im letzten Eintrag schon geschrieben.
Er war nur ein knappes Jahr im Team und hatte es eh nie als etwas dauerhaftes gesehen.
Kein Drama. War'n Versuch wert.



Der Andere sucht sich auch noch einen Nebenjob mit dem er Geld einbringt.
Gerade soviel wie sein Gehalt ist.
Leider kostet er mehr als sein Gehalt ist - schließlich zahlt die Firma 50% seiner Versicherungs- und Rentenbeiträge.
Dafür arbeitet er 40 Stunden die Woche an seinem Nebenjob - in einer anderen Stadt. Und praktisch gar nicht mehr unseren Produkten.
Ich ermahne ihn jeden Monat dass er seinem Nebenjob entweder mehr Bezahlung heraus verhandeln soll oder weniger Arbeitszeit. Kann ja nicht sein dass unsere Firma im Endeffekt deren Firma subventionierte Arbeitskraft stellt und damit nur Verlust macht.
Jeden Monat sagt er mir dass da leider nichts zu machen wäre.
Als das Ultimatum zu Ende geht, texten wir hin und her was wir nun tun.
Er meint, wenn er bei der anderen Firma Angestellter wäre (statt Externer) würden sie ihm auch mehr bezahlen.

Kann man nichts machen, oder?
Ja, kann man wohl nichts machen.

Drei Jahre ist es her dass er Angeheuert hat.
Angestellter Nr. 1, jetzt: Letzter der geht.
Ich lege mein Handy beiseite.
Auf einmal ist es ganz still in meinem Zimmer.
Obwohl es bitterkalt ist in meiner Wohnung, wird mir plötzlich warm. Jemand hat eine heiße helle Glühbirne in meiner Brust angeknipst.
Es ist Vorbei! Keine Verantwortung mehr (außer für mich selbst), keine Verluste mehr (außer mir selbst).
Allein sein war noch nie so schön!
Ich fange an zu tanzen. Hüpfe durch meine Wohnung. Singe laut mit zu dem albernsten Song den YouTube zu bieten hat. Werfe meine Klamotten von mir. Springe unter die kalte Dusche.
Ich habe eine zweite Chance.
Diesmal zieh' ich's richtig auf!
Habe große Pläne und noch größere Motivation!
Ich-AG 2.0, ich komme! (Erstmal nur ich, aber ich bin erstmal genug.)



Samstag, 30. Mai 2020

Boss (28)

Es wurde langsam aber sicher offensichtlich dass, egal was wir tun unsere Verkaufszahlen werden nicht schnell genug steigen um rechtzeitig unsere Ausgaben zu decken... bevor wir bankrott gehen.
Kein Problem - das passiert Start-Ups andauernd.
Die Lösung ist einfach mehr Investitionsgelder anzunehmen. Man nennt das dann "Series A", "Series B", "... C". Bis zum Ende des Alphabets bleibt uns also noch Zeit.
Das wichtige ist nur wie man sich den neuen Investoren darstellt.
"Wir verlieren seit Jahren anderer Leute Geld. Wenn Sie wollen können wir bald auch Ihr Geld verlieren. Nein?".
Wir sind praktisch ein Flugzeug dass nicht vom Boden weggekommen ist und jetzt nach mehr Sprit und einer längeren Startbahn fragt.
Also versuchen wir einen "Pivot" - so nennt man dass wenn ein StartUp sich spontan umentscheidet was es eigentlich machen will.
"Wir verlieren seit Jahren anderer Leute Geld, und haben dadurch gelernt was man NICHT macht. Mit Ihrem Geld machen wir's jetzt richtig!"
Das passt für uns ziemlich gut, weil wir die KI die wir als Feature für unser erstes Produkt entwickelt haben gerne auch an andere Entwickler verkaufen wollen. Und ein Patent darauf haben wir ja auch.
Während ich also Geld aus einer anderen Firma in unseren Kessel schaufel und nebenher unsere Software weiter entwickel bekommen die anderen beiden den Auftrag neue Investoren zu finden.





Und da finden sie Allerhand - Start-Ups die Geld suchen und Investoren die Start-Ups suchen ist ein besseres Business als Heiratsvermittlung. Wir verlieren vor potentiellen Gatten bald den Überblick.
Manche machen ein richtiges Curriculum daraus. Ein mehr-monatiger "Accelerator" bei dem die eigene Firma auf Vordermann gebracht wird, und am Ende - wenn man sich gut anstellt - kriegt man einen Batzen Geld investiert. Toll, fast wie diese Dating Shows im Fernsehen. Da lass ich mich doch gerne hübsch machen. Und laut der Website gibt es sogar ein "Stipendium". Toll. ähh, wofür?
Ich muss die kopletten AGBs durchforsten bis ich irgendwo zwischen den Zeilen finde dass die Teilnahme nicht kostenlos ist. Und zwar bei weitem. Also nochmal: man soll Geld für deren Kurs Zahlen damit man am Ende vielleicht Geld investiert kriegt? Darf ich vielleicht die Kursgebur gleich in Aktien Bezahlen? Nein?




Wir bekommen auch nochmal ein Meeting mit alten Investoren. Der kennt sich aus im Geschäft und kann uns Bestimmt Tipps geben.
Hat voll die Erfahrung, hat er. Wie viel Erfahrung? Nah, stellt sich heraus dass er gerade erst vor einem Monat in eine Konkurrenz-Firma investiert hat die genau dasselbe Produkt entwickeln will.
Wie bitte?
Ja wußte er ja nicht, dass wir in denselben Markt einsteigen wollen... wollten... eigentlich schon drin sind.
Kurzer cineastischer Flash-Back: er war derjenige der das Feature das wir jetzt vermarkten wollen vor jahren vorgeschlagen hat.
Scheinbar hat er nie meine emails gelesen dass wir das auch wirklich umgesetzt haben.
Er ist ein bisschen konsterniert, weil unser Pitch deutlich besser ist. Die anderen hatten wohl nur ein Konzept-Video - kein Produkt, kein Patent. Und selbst das video war wohl nicht so gut wie unseres.
Klar verständlich dass sie damit nur schlappe andernhalb Millionen Dollar bekommen haben.
Mein Leben ist schon irgendwie eine Komödie. Kann ich darin ne andere Rolle kriegen bitte?
Aber hey, wenn er die Jungs kennt dann sollte er uns mal vorstellen! Macht ja keinen Sinn dass sich zwei seiner Firmen Konkurrenz machen. Und die sind doch bestimmt an unserer Technologie interessiert. "Tausche: Produkt, das ihr Verspochen habt gegen: Geld, das ihr bekommen habt."
Tolle Idee! Wird er machen. Sagt er. Macht er aber nie.
Immerhin beruhigt es mich das ihm das Geld das er in beide Firmen investiert hat wohl soweit egal ist.


Donnerstag, 30. April 2020

Corona-chan

Haben Sie gedacht Sie könnten dem ständigen Pandemie-Gezwitscher entkommen und sich etwas mit den Abenteuern eines Jungunternehmers ablenken? Hat der Jungunternehmer auch gedacht. Aber dann kam Corona-chan zu Besuch.


Es ist Anfang April und nachdem die erste Welle der Panik-Klopapier-Käufe vorüber gegangen ist hat sich scheinbar alles wieder normalisiert.
Ja, die Schulen sind zu und Leute werden angehalten von zu Hause zu arbeiten wenn sie können, aber in Japan sind die Firmen da nicht so fortschrittlich.
Die Fallzahlen sind niedrig, die meisten Geschäfte haben geöffnet, und die Leute freuen sich auf die Kirschblüte.
Laut einem Bekannten haben in Mittelgroßen Städten wie Nagoya sogar die Nachtclubs noch offen.
In Osaka ist das Nachtleben etwas reduziert, aber noch lebendig. Angeblich, weil auch das weiß ich nur aus zweiter Hand.
Ich habe die letzten Monate ziemlich schuften müssen um die Firma umzustrukturieren. Da blieb keine Zeit auszugehen. Doch es hat sich bezahlt gemacht - die Aussicht für dieses Jahr sind rosig. Heute noch eine neue Version unserer Software veröffentlichen, endlich fertig! Jetzt kann ich endlich all die Dinge tun die ich ewig vor mir her geschoben habe. Werde gleich morgen ausgehen und alles genießen was das Land so zu bieten hat. Heute ist schon zu spät. Ich lasse den Tag mit einem entspannten Training im Gym ausklingen.
Die Fernseher im Gym unterbrechen mein Training mit einer Sondermeldung. Premierminister Abe verhängt den Ausnahmezustand über alle Großstädte.
Tolles Timing Abe, ganz tolles Timing.
Eine knappe Woche später wird es auf ganz Japan ausgeweitet.


Am nächsten Morgen sieht die Welt noch gar nicht so viel anders aus - in dem Stadtteil in dem ich Wohne scheint alles normal. Bis ich mal in die Innenstadt radel. Jenseits der Osaka-Burg (die noch komplett mit Joggern und Familien überlaufen ist) nimmt die Personendichte stark ab. Die üblichen Touristen- und Party-Hotspots sind leer gefegt.

Politiker geben sich proaktiv! Premier Abe verspricht sofort jedem Haushalt zwei Atem-Masken! Zwei. Keine Ahnung wie er auf die Zahl kommt. Wahrscheinlich eine für Papa damit er weiter in die Arbeit gehen kann und eine für Mama zum Einkaufen gehen. Die meisten Japaner horten schon seit Monaten dutzende Masken. Bis die Masken ausgeliefert werden muß es natürlich zu Verzögerungen kommen und einen Skandal über den Preis und die undurchsichtige Auftragsvergabe und niedrige Qualität geben.
Ich habe meine zwei Masken (ich bin ja ein Haushalt, also sowohl Mama als auch Papa, verdiene also auch zwei Masken) Ende April immer noch nicht. Mittlerweile gibt's Masken wieder an jeder Straßenecke zu kaufen. Immerhin habe alle hinter ihren Masken herzlich über Abe lachen können. Aufheiterung ist in Zeiten der Krise ja auch was wert.

Aber Ansteckungs-Prävention ist nicht das einzige das Politiker tun! Ein finanzielles Hilfspaket wird geschnürt. Haushalte die nach bestimmten Regeln bestimmte Einkommensverluste vorweisen können (und die Regeln verstehen) bekommen bis zu 300.000 Yen (etwa 2500 EUR). Sofort wird angeklagt das die Regeln zu kompliziert und zu strickt sind und der bürokratische Aufwand die Beamten (die auch auch besser Zuhause bleiben sollten) komplett überlasten würden. Also Planänderung: jeder bekommt 100.000 Yen (1115 EUR). Also jeder, egal wie arm oder reich, egal ob mit Job oder ohne. Auch Ausländer, sofern sie hier Wohnen. Wir warten noch ob das wirklich passiert,
aber für Leute die ihren Job verloren haben, gibt’s ja Arbeitslosengeld. Also wenn man einbezahlt hat. Leute die das nicht haben sind: ich (weil ich Unternehmer bin, kein Angestellter), Besitzer von Kneipen (selber Grund), alle die sich im Nachleben verdingen (weil da haben sie's scheinbar nicht so mit Angestellten anmelden). Verständlich dass wir da alle gerne weiter arbeiten würden, sofern noch Kundschaft da ist.
Vielleicht anderweitig Präventionsmaßnahmen finden um weiter offen zu haben - in Conbinis und Supermärkten hängen sie jetzt Plastik-Planen vor den Kassierern auf, damit die nicht angehustet werden können. Ob so etwas auch in einer Kneipe klappen koennte?


Strafen gibt es übrigens nicht wenn man nicht mitspielt beim Verstecken spielen. Scheinbar lässt dass das Japanische Recht sowas nicht so ohne weiteres zu. Die meisten Japaner spielen halt freiwillig mit wenn ihnen die Regierung sagt dass alle Geschäfte schließen sollten die nicht unverzichtbar sind.
Aber was heißt schon unverzichtbar.
Beim spazieren gehen spreche ich eine junge Frau an. Die ist gerade auf dem Weg in die Arbeit. Um die Uhrzeit am Wochenende? Was arbeitet sie denn? Prostitution. ... manche haben halt immer offen.
Gottseidank ist das Glücksspiel in Japan illegal - damit könnten die Leute bestimmt auch nicht aufhören. Pachinko ist natürlich kein Glücksspiel, zwinker, zwinker, also völlig legal und auch ganz bestimmt nicht suchterregend, gell?
Die meisten Pachinko-Hallen haben zwar mittlerweile zu gemacht, aber ein paar sture Betreiber trotzen den Weisungen der Regierung.
Japanische Lösung: der Gouverneur von Osaka mahnt die trotzigen Läden öffentlich im Fernsehen, namentlich und mit Nennung des Stadtteils.
Effekt: zwei der 5 Läden knicken ein und machen zu.
Einer der Läden kommt am nächsten Tag ins Fernsehen weil sich jetzt so lange Schlangen vor den geöffneten Toren bilden dass man schon seine Gesundheit verlieren kann bevor man überhaupt anfängt sein Geld zu verlieren.
Vielleicht war das nicht so clever den Spielsüchtigen von Oska zu sagen wo sie noch zocken können.

Ich bin einfach im falschen Business. Man hätte so viel Geld machen können.
Neuester Trend: Anhänger die man sich um den Hals hängen kann die den Virus stoppen!
Hochwissenschaftlich! Der Filter im Anhänger killt alle Viren!
Wieso der Virus erst durch einen Filter in einem Anhänger vor meiner Brust gehen will bevor er in meine Atemwege kommt ist mir nicht klar,
aber die rechteckigen Anhänger erinner mich stark an O-Mamori, die kleinen Beutel mit gesegneten Texten die man bei Tempeln kaufen kann und einem Glück versprechen. Vielleicht werden demnächst ein paar Mantras veröffentlicht die man vor sich hin plappern kann um sich zu schützen. Ohhmmmmmmmmpfstoff für die Seele.

Dienstag, 31. März 2020

Boss (27)

Ein beliebter Spruch in der Gründerszene ist: "ein Start-Up gründen ist wie von einer Klippe springen und versuchen auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zu bauen". Damit ist gemeint daß Geld verlieren am Anfang normal ist. Solange man halt noch welches hat. Zwei Jahre nach meinem letzen "Aufwind" (Investorengeld) scheint der Boden jetzt unangenehm nahe zu kommen. Dabei gibt es durchaus Zeichen daß sich die Situation langsam verbessert. Nur halt nicht schnell genug. Ich muß irgendwie langsamer Fallen. Nur wie?


Eine Sache die sich im Leben ändert wenn man eine Firma gründet ist, dass man besseren SPAM bekommt. Statt russischer Damen in deiner Umgebung bekommt man jetzt russische Herren. Also Programmierer und andere Dienstleistungen. Einmal habe ich das sogar ausprobiert (also die Herren, nicht die Damen jetzt), war aber mit dem Kosten-Nutzen Verhältnis überhaupt nicht zufrieden. Vielleicht kann ich den Spieß ja umdrehen und selbst mal für hohe Kosten nutzlos sein. Mein Trumpf ist dass ich in Japan bin und Japanisch spreche, also den Japanischen Outsourcing-Markt bedienen kann. Gyomu-Itaku heißt das hier, und nachdem ich nicht weiß wo ich selbst anfangen soll wende ich mich ein eine Vermittler-Firma. Ich schreibe also einen Lebenslauf und fange mal nebenher an mich vermitteln zu lassen. Kann ja einige Zeit und ein paar Versuche dafür bis ich etwas kriege.
Ich brauche genau eine Woche und einen Versuch bis ich etwas habe.
Ich unterschreibe also den Vertrag das meine Firma (ich) einen Angestellten (mich) temporär ins Office einer anderen Firma schicken wird. Ich bin die Hure und ich bin der Zuhälter. Aber natürlich geht nichts im dreckigen Business ohne Schmiere, also sitzen noch zwei "Outsourcing Vermittler" dazwischen. Ja, sind jetzt schon zwei. Mein Vermittler hat mich nur weiter vermittelt an jemanden der mich weiter vermittelt. Jeder hält die Hand auf. Aber hey, am Ende kommt noch mehr Geld bei mir an als meine trägen Verkaufszahlen - was irgendwie deprimierend ist, also denke ich nicht darüber nach.


Mein Tagesablauf ändert sich nun - nicht in absoluter Arbeits-Leistung, aber er wird etwas rigider. Ich stehe um 6:00 auf und arbeite beim Frühstück an unserer Produktpalette. Dann Radel ich noch im Pyjama durch die Sommer-Hitze, dusche im FitnessCenter um die Ecke, Arbeite von 8:30 bis 18:30, renne in unserem Office vorbei um mit dem Team die Lage zu besprechen und Bürokram zu erledigen, auf dem Heimweg wieder im FitnessCenter vorbei, Streß abbauen, dann Zuhause nochmal an die Arbeit solange ich mich noch konzentrieren kann, falle ins Bett, schlafe 6 Stunden und wiederhole das ganze. Freue mich aufs Wochenende wo ich wieder von Zuhause arbeiten kann.
Wie gesagt, von der Arbeitslast her überhaupt kein Problem.
Nur psychologisch ist die Situation etwas schwer verdaulich.
Klar, von einer Seite aus gesehen rette ich meine Firma.
Kann man aber auch anders herum sehen:
Ich arbeite Vollzeit für ein Gehalt von dem ich nur träumen kann, nur um dann in meiner Freizeit noch härter zu arbeiten und dabei alles wieder zu verlieren.
Ich spaße dass ich normale Leute mit meiner Ausbildung und in meinem Alter ja eine Frau und zwei Kinder durchbringen - ich habe halt eine Firma und zwei Angestellte. Aber ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Schließlich habe ich die Firma ja auch deswegen gegründet damit ich NICHT Code-Monkey für Cheffe spielen muss.
Jetzt habe ich das schlimmste beider Welten.
Was dem ganzen aber die Krone aufsetzt ist als ich herausfinde dass das Projekt das ich dort übernehme aus öffentlichen Geldern finanziert wird.
Also nochmal: Japans Regierung will das etwas gemacht wird. Also zahlen sie Firma X die Entwickler-Kosten. Firma X gibt einen Teil davon an Outsourcing-Vermittler A, der zahlt Outsourcing-Vermittler B, der bezahlt mich dafür das ich das mache. Das diese Pipeline gewaltig leckt ist wohl klar. In einem Meeting bekomme ich mal das ursprüngliche Dokument zu sehen mit der Firma X sich um die Gelder beworben hat. Und beschließe bei nächster Gelegenheit zumindest mal die Arbeit und den Outsourcing Vermittler zu wechseln. Wie kann die Japanische Regierung glauben dass ein Programmierer im Monat so viel Kostet? Oder... wäre dass das Gehalt dass ich eigentlich hätte haben können wenn ich keine Firma gegründet hätte? Das Leben das ich nie hatte zieht nochmal an mir vorüber. Aber nur kurz - muß noch im Buro vorbei, meine Angestellten aufheitern, Steuerformulare ausfüllen. Noch drei Tage, dann ist endlich Wochenende und ich habe wieder Zeit an unserer Produktpalette arbeiten.

Samstag, 29. Februar 2020

Boss (26)


Oh, ich habe ja nie das Ende der Geschichte von meinem "Box-Kampf wer der beste StartUp CEO ist" fertig erzählt.
Naja, dann spulen wir halt nochmal die Zeit zurück.
Ich werde also nach Portugal geschickt - kein ganz kurzer Trip. Aber ich nutze die Zeit um meinen Pitch zu verfeinern und kräftig zu üben. Zwischen Klo und Kombüse erkläre ich dem 30cm Bullauge in der Tür warum mein StartUp das beste StartUp in diesem Flugzeug ist - mit Flüsterstimme, aber vollem Körpereinsatz. Ich hoffe ich werde nicht für geistig Verwirrt gehalten - oder zumindest nicht mehr geistig Verwirrt als ich mich fühle.



Angekommen, besteht der erste Tag aus Leute treffen - andere Teilnehmer, Veranstalter, und auch die Gewinner vom letzten Jahr sind dabei. Ein energetischer Israeli, der Protein aus Heuschrecken will. Er betont das Heuschrecken sowohl Koscher als auch Halal seien, gesund, kostengünstig und umweltfreundlich zu produzieren. Ich bin schon seit dem Wort "Protein" vollstens überzeugt gewesen. Wo kann ich sein Heuschrecken-Pulver kaufen? Leider verkauft er nur an den Großhandel zur Weiterverarbeitung. Zum Trost gibt er mir eine Heuschrecke. Kannst du so essen, versichert er mir. Ich esse sie so. Sehr trocken, aber vom Geschmack nicht schlecht.

Es gibt auch eine Menge Meetings mit möglichen Investoren. Leider sind wir zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Suche nach Investoren. Wir suchen nach Kunden. Kunden werden will keiner. Aber hey, immerhin habe ich eine gratis Heuschrecke bekommen - und noch die Chance Weltmeister im "mit-meiner-Firma-Angeben" zu werden.



Zweiter Tag - die Vorauswahl für's Finale. Morgens früh raus - Joggen. Sport beruhigt die Nerven (und das Gewissen - nach den Übermengen leckerem Essen dass wir am Vorabend serviert bekommen haben). Also renne ich vor Sonnenaufgang durch einen Portugiesischen Vorort.
Der Park um die Ecke hat so etwas wie ein kleines Amphitheater, ein runder Sandplatz mit stufenweisen Steinen auf einer Hälfte, vielleicht 20 Meter im Durchmesser.
Ich bleibe in der Mitte des Platzes keuchend stehen und schaue im Halbdunkel des Morgengrauens über die leeren Sitzreihen.
Ich ahmte tief durch, richte mich auf, und trage meinen Pitch der versammelten Niemandschaft vor.
Tosende Stille.
Ich renne weiter, wiederhole das ganze noch drei mal und fühle mich dann endlich Selbstsicher genug Heim zu rennen und zu duschen.

Auch als ich am Austragungsort ankomme wiederhole ich bis zuletzt meinen Vortrag und mein Arsenal vorbereiteter Argumente in meinem Kopf. Dann ist der Moment da. Die Vorauswahl wird in einer alten Portugiesischen Festung abgehalten. Ich laufe die Stufen vom Austragungsort hinauf. Dort warten schon drei Richter auf mich. Und.... LOS!
Flüssig und Selbstbewußt präsentiere ich mein Business. Die Richter sind nicht schlecht beeindruckt, müssen aber natürlich trotzdem fiese Fragen stellen.
Ha! Hab ich vorbereitet! Ihre Zweifel werden abgeschmettert und umgelenkt sodass sie am Ende noch die Stärken meiner Geschäftsidee hervor heben! DING DING DING! Zeit um.
Easy! Mit angemessener Überheblichkeit laufe ich die Treppe wieder herunter. Da hole ich mir doch erstmal einen Kaffee und etwas Gebäck.


Dann die Zweite Runde - nach der ersten kann das ja nicht mehr schief gehen. Oder?
Obs daran lag dass ich nicht mehr bis zuletzt an meinem Kopf geübt habe? Oder an der Hitze? Gleich beim Einstieg lege ich einen Fehlstart hin - Mist! Aufrappeln und nochmal von vorn! Verhaspel mich aber in der Mitte gleich nochmal. Was ist plötzlich los mit mir?! Die Fragen kriege ich zwar noch halbwegs beantwortet, aber mein Showmanship ist dahin - DING DING DING verdammt!

Als dann Abends die Ergebnisse der Vorauswahl verkündet werden, sind zwei Dinge klar.
Ich werde nicht im Finale antreten. Und ich habe mir den Sonnenbrand meines Lebens geholt.
Naja, dafür gibt’s hier ja unbegrenzt kostenlosen Alkohol. Mein Japanischer Landsmann der Schwede ist hat's auch nicht geschafft. Da bin ich wenigstens nicht der einzige der Harakiri begehen muss wenn wir Heim kommen.
Und überhaupt, dafür dass ich nie überhaupt nur an diesem Event teilnehmen wollte habe ich's relativ weit geschafft und einen kostenlosen Trip nach Portugal bekommen.
Also genieße ich den letzten Tag mit meiner Mutter in Lissabon. Mit Portugiesischem Essen - nicht Heuschrecken.